Wer hat Angst vorm bösen Mann?
diese abscheulichen Verbrechen zum Glück recht selten. Während sich die Berichterstattung über diese Vergehen in den Medien in den letzten Jahren verdreifachte, nahm ihre Häufigkeit in den letzten Jahren ab: Von 1993 bis 2010 gab es in Deutschland um 21 Prozent weniger Fälle von sexuellem Missbrauch. [73] Das könnte mehrere Gründe haben: eine höhere Aufklärungsquote, nicht zuletzt wegen der Erfolge der DNA -Analyse, [74] eine größere Anzeigebereitschaft der Opfer sowie eine sexuelle Liberalisierung. Und es kann daran liegen, dass die Anzahl der Männer im «gefährlichen» Alter von achtzehn bis zweiunddreißig, in dem besonders viele solcher Straftaten begangen werden, durch Verschiebungen in der Alterspyramide abgenommen hat. Dennoch muss man sich weiterhin Gedanken machen, wie solche Taten zu verhindern sind.
Wird wieder einmal ein siebenjähriges Mädchen tot im Wald aufgefunden, ertönt regelmäßig der Ruf nach einer härteren Strafe («Einsperren und den Schlüssel wegschmeißen»), oder es werden sogar «Rübe ab»-Forderungen laut. Gar nicht einsehen will die Öffentlichkeit, wenn einem solchen Täter eine verminderte Schuldfähigkeit zugestanden wird, anstatt dass er eine eher gnadenlose Strafe bekommt. Dann heißt es gleich: «Er braucht bloß zu sagen, er sei von seinem Vater geschlagen worden, und schon kriegt er ein paar Jahre weniger.» Dabei wird verkannt, dass ein Triebtäter die Erhöhung des Strafmaßes, die vorzugsweise von Politikern ohne Kenntnis der wissenschaftlichen Hintergründe gefordert wird, nicht abschreckt oder davon abhält, sein Vorhaben auszuführen. «Ich habe, als ich meine Opfer vergewaltigte, nicht an Strafen gedacht. Selbst wenn man mir Folter oder Kastration angedroht hätte, alle Finger mit dem Bolzenschneider einzeln abzutrennen oder meine Arme mit der Kettensäge zu amputieren – in dem Moment, in dem ich ein Mädchen sehe, setzt bei mir alles aus; ich will nur mein Ziel erreichen. Erst am nächsten Tag wird mir klar, was ich in Kauf genommen hatte.» Das berichtete mir ein Serienvergewaltiger, den ich psychotherapeutisch betreute.
Versteht man, dass das Problem im EOS liegt, wird schnell deutlich, dass man es bei einem solchen Straftäter mit einem Gehirnsystem zu tun hat, das sich nicht mit Dingen beschäftigt, die erst Monate später eintreten (wie eine Haftstrafe). Dieses System plant nicht einen einzigen Tag im Voraus, und es ignoriert das Strafgesetzbuch.
Der überstarke Trieb ist ein Phänomen, das die Betroffenen nicht ohne Weiteres mit vernunftmäßigen Überlegungen abstellen können, was auch daran zu erkennen ist, dass die Täter nach langen Haftstrafen bald wieder rückfällig werden. Sie sind sich meist des Unrechts ihrer Verbrechen (zumindest teilweise) bewusst, wissen aber nicht, wie sie ihrer Veranlagung begegnen können. Im Moment der Tat gehen sie völlig impulsgesteuert vor und nehmen noch nicht einmal wahr, dass sie keinerlei Vorsichtsmaßnahmen treffen, um ihr Tun zu verbergen. Manche Vergewaltiger versuchen gar nicht, ihre Spuren zu vertuschen. Sie legen sogar bewusst oder unbewusst Fährten, um gefasst zu werden – in der Hoffnung, dass die Festnahme sie vor sich selbst schützen könnte. «Ich gab dem Opfer nicht nur meinen Namen, sondern sogar meine volle Adresse, und erst als ich wieder zu Hause war, merkte ich, dass ich damit mein eigenes Grab geschaufelt hatte», erzählte mir ein solcher Delinquent. Zu erwarten, dass ein Vergewaltiger seinen übermächtigen Sexualtrieb im Augenblick der Versuchung durch moralisch-ethische Überlegungen bremsen soll, wäre so, als würde man von einem Feuer verlangen, dass es gefälligst den Feuermelder bedient, bevor es ausbricht.
Mit anderen Worten: Eine weitere Verschärfung der Strafen wird uns kaum vor solchen Taten schützen. Das heißt aber nicht, dass man die Täter nach kurzem Freiheitsentzug wieder laufen lassen sollte.
Das Inhaftieren eines Gesetzesbrechers verfolgt mehrere Zwecke: Zum einen soll er für sein Tun bestraft werden – im Sinne der Sühne. Durch «Abschreckung» soll der Delinquent (und auch andere) abgehalten werden, Ähnliches zu realisieren, indem «ein Exempel statuiert wird». Zusätzlich soll die Öffentlichkeit zufriedengestellt werden; sie erfährt, dass dem Recht Folge geleistet wird. Für die Bürger ist es beruhigend, wenn sie sich darauf verlassen können, dass jemand mit seiner Tat nicht ungestraft davonkommt. Weiterhin dient das Wegschließen eines
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