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Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Titel: Wer hat Angst vorm bösen Mann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Borwin Bandelow
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verbringen selbst im Gefängnis außergewöhnlich lange Zeit vor dem Spiegel – das zeigt, dass sie sich doch Gedanken über ihre Wirkung auf andere machen. Psychotherapeuten, die sie behandeln, fällt gelegentlich auf, dass sie gar nicht so gleichmütig sind, wie sie tun, sondern dass man sie extrem schnell kränken kann. Übersensibel, wie sie sein können, fassen sie leichten Spott als schwere Erniedrigung auf. Da sie nach außen häufig den Anschein erwecken, dass sie über jede Kritik erhaben sind, gewinnt man den (oberflächlichen) Eindruck, dass sie dort, wo bei anderen die Moralinstanz im Gehirn sitzt, ein großes schwarzes Loch haben. In Wirklichkeit haben sie aber eine extreme Angst vor Abwertung. Um diese Furcht abzuwehren, sorgen sie dafür, dass der Berg ihrer Sünden eines Tages so hoch ist, dass kaum noch einer etwas gegen sie sagt, weil man alle Ermahnungen für sinnlos hält. Nach dem Motto «Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert» bauen sie einen Schutzschild um sich herum, der alle Missbilligungen abprallen lässt.
    Bei antisozialen Menschen finden wir immer wieder das Fehlen jeglicher Reue für ihre Untaten. Ein Schuldanerkenntnis pressen sie nur heraus, wenn ihr Anwalt es für opportun hält oder dem Psychologen ein Therapiefortschritt vorgegaukelt werden soll. Worte des Bedauerns kommen nur mechanisch über die Lippen – ähnlich seelenlos wie die Mitteilung eines Computerbetriebssystems, dass es einen «schwerwiegenden Fehler» verursacht hat. Oft sehen sie sich selbst als das wahre Opfer an. So klagte ein Straftäter in unserer forensischen Klinik, der eine alte Frau bei einem Raub lebensgefährlich verletzt hatte: «Okay, die Oma lag zwei Monate im Krankenhaus, aber ich sitze hier Jahre!»
    Wenn Antisoziale lügen, betrügen, verletzen oder morden, tun sie das «kaltblütig», das heißt, die typischen Zeichen der inneren Erregung wie Herzrasen, Zittern, Schwitzen oder Kloßgefühl im Hals sind bei ihnen weniger ausgeprägt als bei gesunden Personen. Sie begehen ihre Taten mit der gleichen Emotionslosigkeit wie eine Hausfrau, die ein Masthähnchen mit der Geflügelschere entbeint.
    Aber es ist nicht einfach ein Fehlen eines Gespürs für soziales Miteinander, das die antisozialen Persönlichkeiten charakterisiert. Ganz offensichtlich haben manche von ihnen ja sogar einen überfeinen Riecher für zwischenmenschliche Prozesse. Doch sie nutzen diese Fähigkeit nicht, um sich einen respektablen Platz in der Gesellschaft zu schaffen, sondern als Mittel zum Zweck, um ihre niederen Bedürfnisse zu befriedigen. Nicht selten sind ihre betrogenen Opfer gebildeter und intelligenter. Antisoziale Persönlichkeiten umgarnen ältere Professorenwitwen, um sich deren Erspartes zu erschleichen, sie beschwindeln erfahrene Geldanleger, sie schmeicheln sich bei einer klugen Richterin ein, um Bewährung zu bekommen, oder sie täuschen einen routinierten Psychiater, damit er eine günstige Kriminalprognose schreibt. Dies alles geht nicht ohne einen ausgeprägten Sinn für die Psyche des Gegenübers. Und es ist nicht so, dass sie die Qual der von ihnen Geschädigten nicht spüren. Es macht ihnen sogar einen teuflischen Spaß, andere leiden zu sehen. Therapeuten, die antisoziale Persönlichkeiten behandeln, berichten über einen intensiven Blickkontakt, bei dem sie das unangenehme Gefühl haben, von den Patienten mit den Augen wie mit Röntgenstrahlen durchleuchtet zu werden. Um jemanden emotional auszusaugen, muss man verstehen, wo seine Probleme und Schwächen sind.

Sensationell viele Frauen
    Aber was haben antisoziale Persönlichkeiten davon, wenn sie ihr Feingespür nutzen, um andere zu schädigen? Oft haben sie mit ihrer Taktik kurzfristig Erfolg, zum Beispiel, wenn sie ohne blöde Schufterei rasch an viel Geld herankommen oder mit sensationell vielen Frauen Geschlechtsverkehr haben können. Dennoch, am Ende scheitern sie meistens, landen im Gefängnis oder in der Psychiatrie.
    Wenn nun antisoziale Persönlichkeiten sensiblere Antennen für zwischenmenschliche Prozesse haben als normale, was ist dann falsch an ihrer Strategie? Ein wesentlicher Vorteil des menschlichen sozialen Angstsystems gegenüber demjenigen der Tiere ist das vorausschauende Denken. Wenn wir immer höflich und rücksichtsvoll sind und unseren Freunden und Kollegen diesen oder jenen Gefallen tun, wirkt sich das eines Tages in irgendeiner Form günstig aus. Ohne dass wir darüber nachdenken müssen, arbeiten wir über

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