Wer hat Angst vorm bösen Mann?
der beiden Geiseln, über Skype telefonieren konnte. Die Schweizerin, die immer noch in Costa Rica lebt, hatte ihre Erlebnisse in einem Buch mit dem Titel
Entführung in Costa Rica
geschildert. [130]
Susanne Siegfried erinnert sich: «Das Schlimmste war – neben den Moskitos – der ständige Hunger. Die Entführer haben immer wieder auf Tiere geschossen, aber fast nie getroffen. Einmal mussten wir Hirn und Innereien eines Klammeraffen hinunterwürgen. Ein anderes Mal sahen wir eine Herde Nasenbären, ich habe sie aber durch ein Geräusch verscheucht. Ich wollte nicht, dass wir sie essen mussten.»
Als ihre Hauptgegner sahen die entführten Frauen aber nicht die Geiselgangster an, sondern die Polizei. «Wir hatten ständig Angst, dass die Polizei uns finden könnte», sagt Susanne Siegfried. Die Entführer hatten ihnen eingeredet, die Polizisten würden wahllos alle erschießen.
Monatelang bleibt unklar, ob die Forderungen der Geiselnehmer erfüllt werden: Sie verlangen eine gerechtere Verteilung der Güter in Costa Rica zwischen Armen und Reichen, aber auch eine Million Dollar in bar. Die Regierung lehnt jede Lösegeldzahlung ab; die Familien der Opfer leihen 200 000 Dollar zusammen. Unter Lebensgefahr fährt Peter Siegfried, der Ehemann von Susanne Siegfried, mit dem Kanu in den Dschungel, um das Geld zu übergeben. Allein. Schließlich kommen die Frauen frei.
Dann der Schock.
Als der Anführer der Gruppe, Talamanca, einen Monat später gefasst wird, findet man bei ihm ein Tagebuch und eine Fuji-Filmrolle. Auf den Bildern, die Geiseln und Entführer voneinander gemacht hatten, lachen die Frauen entspannt. Und auf einem Foto sieht man Julio Vega zusammen mit Nicola, die Szene ist eindeutig: Opfer küsst Täter. Es ist nicht ein flüchtiger Abschiedskuss, sondern ein aufrichtiger, zugeneigter, leidenschaftlicher, inniger Kuss. Aus dem Tagebuch und Liebesbriefen geht hervor, dass Talamanca, alias Julio Vego, und Nicola eine intime Beziehung hatten.
Ein Aufschrei der Empörung geht durch Costa Rica: Die Frauen haben ihre Entführung selbst inszeniert, behauptet Justizminister Juan Diego Castro. «Orgien im Regenwald», titeln die Zeitungen. Costa Rica hat seinen Ruf als relativ sicheres Reiseland auf einen Schlag verloren – nach Ansicht der Medien wegen zweier Frauen, die mit politischen Wirrköpfen gemeinsame Sache machten.
«Als das Kussfoto erschien, hatten wir eine schlimme Phase», entsinnt sich Susanne Siegfried. «Während wir als verschwunden galten, hatte man überall im Land für uns demonstriert und Bittgottesdienste für uns abgehalten. Und dann das. Uns wurde vorgeworfen, wir hätten eine schöne Zeit im Dschungel gehabt. Ich wurde als Kupplerin beschimpft, weil ich in ihren Augen zugelassen hatte, was Talamanca mit Nicola machte.»
Julio Vega (Talamanca) und Nicola Fleuchaus
«Meine Königin, meine Prinzessin, meine Himmel, mein Stern»
Bereits ab dem achten Tag der Entführung, so berichtet Susanne Siegfried in
Entführung in Costa Rica
, bahnte sich eine Romanze zwischen Nicola Fleuchaus und dem Anführer an. Sie hielten sich bei den Fußmärschen ständig an den Händen. Er nannte sie «Meine Königin, meine Prinzessin, meine Himmel, mein Stern». «Welcher deutsche Mann gibt mir solche Namen?», fragte sich Nicola. [131]
«Ich habe es nicht verstanden, was da vor sich ging», sagt Susanne Siegfried heute. «Die Entführer waren schmutzig und haben gestunken. Talamanca sah auch nicht besonders gut aus, aber er war oft lustig gewesen und hatte das gewisse Etwas. Er wurde oft ‹El Loco› genannt – der Verrückte. Manchmal drehte er durch: Dann ballerte er mit seinem Maschinengewehr in der Gegend herum, obwohl uns die Entführer ständig ermahnten, leise zu sein. Talamanca hatte in Nicaragua mit den Contras gegen die Sandinisten gekämpft, er war damals schwer verletzt worden und hatte seitdem noch Kugeln im Kopf.»
Das Verhalten der Frauen nach der Freilassung sei merkwürdig gewesen, sagte später die Polizei. Nicola habe sich gesträubt, Aussagen gegenüber den Behörden zu machen und sich ärztlich untersuchen zu lassen. «Bei der ersten Befragung tobte sie wie eine Furie über den Flur und weigerte sich, mir irgendetwas zu erzählen», beklagte sich der costaricanische Kripo-Chef Manuel Alvarado. [132] Susanne Siegfried und Nicola Fleuchaus hatten gegenüber den Beamten behauptet, die Entführer seien ständig vermummt gewesen, weshalb sie sie nicht hätten identifizieren
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