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Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Wer hat Angst vorm bösen Mann?

Titel: Wer hat Angst vorm bösen Mann? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Borwin Bandelow
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der Sveriges Kreditbank am Norrmalmstorg in Stockholm. Nachdem die Polizei das Gebäude umzingelt hat, verletzt er einen Beamten lebensgefährlich und nimmt drei weibliche und einen männliche Bankangestellten als Geisel. Olsson verlangt, dass ein landesweit bekannter Verbrecher aus der naheliegenden Haftanstalt in das Geldinstitut gebracht werden solle. Diesen Mann, Clark Olofsson, bewundert er, seit er ihn im Gefängnis kennengelernt hat. Clark Oloffson wird geholt, er unterstützt Olsson dann bei den Geiseln.
    Die Polizei kann eine Kamera in den Tresorraum einführen und eine Telefonleitung herstellen, sodass es möglich ist, mit den Gangstern und ihren Gefangenen zu kommunizieren – so kommt es zur ersten Reality- TV -Show in der Geschichte. Man kann auf den Kamerabildern sehen, wie die Erpresser den Geiseln Schusswaffen an den Hals setzen. Über Radio erfahren die Gangster, dass die Polizei ein Betäubungsgas in den Tresorraum einleiten will. Sie legen den Geiseln Drahtschlingen um den Hals. Würden sie das Bewusstsein verlieren, würden sie stranguliert werden.
    Doch die Reaktion der Geiseln schockiert die Schweden, die vor ihren Fernseh- und Radiogeräten die Ereignisse verfolgen. Eine der Gefangenen, die dreiundzwanzigjährige Kristin Enmark, sagt, sie habe großes Vertrauen in die Geiselnehmer, die «wahnsinnig nett» seien. [126] Sie habe eher Angst, dass die Polizei durch eine rücksichtslose Vorgehensweise ihnen schaden könnte. Eigentlich wolle sie gar nicht befreit werden. [127] Die Geisel Sven Säfström bietet sogar an, sich ins Bein schießen zu lassen, damit der Öffentlichkeit der Ernst der Lage deutlich wird. Olsson lehnt das aber ab, sagt, er könne kein Blut sehen. Olof Palme, der damalige schwedische Ministerpräsident, der sich persönlich einschaltet, um seinen gerade laufenden Wahlkampf zu retten, bekommt eine direkte Telefonverbindung in den Tresorraum. Von Kristin Enmark muss er sich anhören, dass sie mit seiner Haltung sehr unzufrieden ist. Sie meint, man solle die Räuber einfach freilassen. Die Eingeschlossenen äußern – es klingt wie eine Entschuldigung –, dass die Geiselgangster ein «Produkt einer kaputten Gesellschaft» seien. Es heißt: «Sie schützen uns vor der Polizei.» Die Gefangenen sprechen äußerst liebenswürdig mit Olsson und Olofsson, umarmen und küssen sie und bekunden ihre Loyalität. Es gibt einvernehmliche sexuelle Berührungen. [128]
     
    Kristin Enmark ist heute dreiundsechzig. Die ehemalige Bankangestellte arbeitet als psychoanalytische Sozialtherapeutin in Stockholm. Telefonisch versuche ich, mit ihr ihre Empfindungen von damals nachzuvollziehen, neununddreißig Jahre nach dem Drama, das zur Prägung des Begriffs «Stockholm-Syndrom» führen sollte.
    «Wir hatten mehr Angst vor der Polizei als vor den Entführern», sagt sie. «Als die Polizei die Türen der Bank von außen schloss, fühlte es sich so an, als würden wir in einer Falle sitzen. Nach kurzer Zeit hatten wir die Empfindung: wir gegen sie. Unbewusst schlossen wir einen Vertrag mit den Geiselnehmern. Die da draußen behandelten uns wie die Ratten. Durch die Glastüren der Bank sahen wir, dass Scharfschützen auf uns zielten. Ein Querschläger konnte uns jederzeit treffen.» Während sie mir dies erzählt, gerät Kristin Enmark in Zorn. «Noch heute kann ich mich kolossal aufregen, wenn ich daran denke. Es gab nichts zu essen, dreizehn Stunden war das Licht aus, man hörte ständig die Drillbohrer, der Boden war bedeckt mit Wasser. Und mit dem Gas war auch was nicht in Ordnung – es verbreitete sich nicht dort, wo es hinsollte. Wir sind nicht ohnmächtig geworden. Olsson und Olofsson, die nach der Gaseinleitung durch die Polizei aufgaben, mussten sogar der Polizei helfen, die Tür von innen aufzumachen. Das war vielleicht unser Glück, sonst hätten wir durch das Gas sicher einen Gehirnschaden bekommen oder wären gestorben. Es war das Gleiche wie bei der Geiselnahme in Moskau. [8]
    Zwischen den beiden Männern, also Olsson und Olofsson, gab es einen großen Unterschied. Janne Olsson war eindeutig der Aggressive, er fuchtelte ständig mit den Waffen herum und schrie immer nur aufgeregt herum. Er hatte so eine Hybris. Er war eher der Typ Gänsedieb, der in der Hierarchie seines kriminellen Umfelds aufsteigen wollte, indem er ein berühmtes Verbrechen beging. Clark Olofsson, der ja erst später dazukam, war viel besonnener. Nur er war in der Lage, ruhig mit der Polizei zu reden.»
    Die

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