Wer Hat Angst Vorm Zweiten Mann
mir zu, dass er mir später in seinem Zimmer noch etwas zeigen wollte. Zu zweit. Mein Ziel, mit Mick ein Paar zu werden, war in greifbare Nähe gerückt. Aus Nervosität kippte ich einen Martini nach dem anderen – und die Geschichte endete wie folgt: Mick nahm mich mit auf sein Zimmer und küsste mich. Dabei wurde mir kotzübel. Da ich es nicht mehr bis zum Bad schaffte, landeten die halb verdauten Chips in einer Martinilache auf Micks Heiligtum, seinem Flokatiteppich. Noch am selben Abend kam Mick mit Lena zusammen, die ich bis dahin für meine beste Freundin gehalten hatte.
Nie wieder, schwor ich mir, würde ich mich nochmals in eine so peinliche Situation manövrieren. Und das war mir auch lange gelungen.
Ausgerechnet am Silvesterabend mit Dexter widerfuhr mir jedoch ein weiteres denkwürdiges Alkoholerlebnis.
Dexter hatte mir mitgeteilt, dass die Party, auf die wir gehen würden, unter dem Motto »bad taste« stand. Ich liebte Mottopartys. Schon als Kind fand ich nichts toller, als mich stundenlang zu verkleiden. Inzwischen freute ich mich auch darauf, an Silvester unter Leute zu kommen und nicht allein mit Clooney Dinner for One schauen zu müssen.
Den ganzen Nachmittag probierte ich Verkleidungen aus meinem Kostümfundus an, der sich über die Jahre in meinem Kleiderschrank angesammelt und sämtliche Ausmistaktionen überlebt hatte. Ich kombinierte sackförmige Röcke und Rüschenblüschen mit weißen Tennissocken und wog ab, was hässlicher aussah: Lockenwickler in den Haaren oder eine Angela-Merkel-Perücke. Am Ende entschied ich mich für ein Pimp-Daddy-Proll-Outfit: Ich gelte mir meine Haare schmierig zurück, zog einen muscle suit an, der mir die Figur eines Boxers verlieh, und darüber einen dunkelblauen Trainingsanzug aus den Achtzigern und eine fette Goldkette.
Abends holte Dexter mich wie vereinbart ab.
»Oh, Phyl, entschuldige, aber du siehst echt beschissen aus.«
Er umarmte mich zur Begrüßung. »Wie soll ich denn jetzt vor den anderen Jungs mit dir angeben?«
»Du siehst auch nicht aus wie mein bestes Pferd im Stall«, erwiderte ich, da Dexter grell geschminkt, mit blonder Perücke, einem Glitzerkleid und Netzstrumpfhosen vor mir stand.
Kurz darauf hielt unser Taxi vor einem Restaurant, das sich auf einem fest verankerten Schiff am Kreuzberger Spreeufer befand. Bunte Lichterketten säumten das Deck, und auf einem Schild über dem Eingang stand Aktans Fischbude .
Trotz der frühen Abendstunde war die Party schon in vollem Gang: Überall hingen Lampions und Lametta, und die Frauenband »Cello Litas« bot einen schrägen Party-Sound-Mix dar. Einige Gäste tanzten bereits. Wegen der vielen Menschen an Bord schaukelte das Schiff so stark, als wären wir bei starkem Wellengang auf hoher See.
Ich sah mich um. Außer Dexter und mir hatte kaum jemand Mut zur Hässlichkeit bewiesen. Ganz im Gegenteil nutzten besonders Frauen das Motto, um halb nackt ihre intimen Fetischklamotten aus Lack und Leder zur Schau zu stellen. Die waren zwar gewagt, aber alles andere als geschmacklos.
Gastgeber Robin, der aus Kapstadt stammte und Aktans Fischbude für seine Silvesterparty gemietet hatte, begrüßte uns gut gelaunt. Zumindest er stand zum Thema des Abends und trug zu seinem Hawaiihemd und einer Liebestöter-Badehose Zöpfe in den Haaren und Wandersandalen an den Füßen.
»Du bist Phyllis, oder?«, wandte er sich an mich, nachdem er und Dexter mit dem für südafrikanische Surfer-Dudes typischen Howzit-ma-bru-shake-hands fertig waren. »Wenigstens ihr haltet euch an das Motto der Party – darauf müssen wir anstoßen!«
Robin nahm einem Kellner zwei Schnapsgläser vom Tablett und reichte sie uns. »Das ist Raki mit Wasser …«
Was nun folgte, war ein Denkfehler, den ich mir im Nachhinein selbst nicht erklären konnte. Begünstigt wurde er dadurch, dass der verdünnte Raki mehr nach Anissaft schmeckte als nach Alkohol. Jedenfalls ging ich davon aus, dass Raki nur fünfzehn Prozent Alkohol enthält. So wie Sake, der japanische Reiswein, dessen Name aus vier Buchstaben auch ein »ak« in der Mitte hat und den man literweise trinken kann.
Das aber war ein fataler Irrtum: Anders als im Sake lauern im Raki siebzig Prozent Alkohol. Hinzu kam, dass ich die ersten Anzeichen meines Betrunkenseins auf das Schaukeln des Schiffs schob. Die wahre Wirkung des Schnapses wurde mir deshalb erst bewusst, als es zu spät war. Kurz darauf hatte ich einen Filmriss.
Am Neujahrstag wachte ich um die Mittagszeit in
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