Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
Tiermehl, und das mag die erste Überraschung sein, hat die Seuche offenbar herzlich wenig zu tun.
Dabei klang die Theorie der Experten eigentlich ganz plausibel: Die Briten hatten Schafe, die an der Nervenkrankheit Scrapie erkrankt waren (ebenfalls eine spongiforme Encephalopathie wie BSE , im älteren deutschen Schrifttum als «Traberkrankheit» bezeichnet), zu Tiermehl verarbeitet und dieses dabei unzureichend erhitzt. Darum wurden die Scrapie-Erreger nicht unschädlich gemacht, sie gelangten mit dem Fleischmehl in die Futtertröge und dann in den Pansen der Rinder. Von dort aus haben sich die Erreger, mutmaßlich krankmachende Eiweißpartikel namens Prionen, bis ins Hirn der Kühe vorgearbeitet.
Die Scrapie-Prionen sind also mit britischer Hilfe vom Schaf aufs Rind «übergesprungen». Und da die mit Scrapie-Erregern infizierten Rinder ebenfalls zu Tiermehl verarbeitet wurden, sollen sich die Prionen nach und nach an den neuen Wirt angepasst und sich schließlich ungehindert über das Tiermehl ausgebreitet haben. Und darum drohe dem Menschen jetzt im Steakhaus der Angriff der Killerprionen – jener winzigen Eiweißpartikel, die von vielen Forschern für die Ursache der Krankheit gehalten werden. Wir würden schließlich zu Tausenden, so unkten die Medien, an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ( CJK ) dahinsiechen und elendiglich sterben. So weit die offizielle Theorie.
Die Rindviecher interessierten sich allerdings nicht für die ernährungstechnischen Vorstellungen medialer Seuchenexperten. Aus diesem kühlen Grunde waren sie auch niemals strenge Vegetarier. Auf der Weide fressen sie zwangsläufig tierisches Eiweiß. Als «Beilage» zum Hauptgericht Gras goutieren sie Insekten, Spinnen, Regenwürmer oder Schnecken. Das Bodenleben und die Artenvielfalt der naturnahen Flächen landet ganz natürlich im Verdauungstrakt von Pflanzenfressern. Solches Kleinzeug ist oft ein essenzieller Bestandteil der Kost; ist die Ausbeute zu mager, suchen Schafe oder Hirsche sogar nach Nestern von Bodenbrütern, um ihren Speiseplan mit ein paar Jungvögeln aufzuwerten. 11
In der Tierernährung ist das natürlich bekannt. Deshalb fand es auch niemand «widernatürlich», wenn das Kraftfutter für Milchvieh einen kleinen Zusatz von fünf Prozent Tiermehl bekam. Das Eiweiß kam der Milchproduktion zugute. Vor der BSE -Krise bekamen das alle Hochleistungsrinder auf der ganzen Welt serviert, auch in Deutschland. Zu einem BSE -Massenausbruch kam es aber nur in Großbritannien. Insofern handelte es sich beim Verfüttern von Tiermehl nicht um eine typisch «britische Perversion», sondern um eine bewährte landwirtschaftliche Praxis.
Aber war sie für die BSE -Katastrophe verantwortlich? Wenn in England bereits Tiermehl aus ein paar scrapiekranken Schafen die Rinderherden gründlich durchseuchen konnte, wie riskant war dann erst das britische Tiermehl, das weiterhin aus den unzähligen BSE -Kadavern hergestellt wurde? Auch auf dem Höhepunkt der Seuche lieferten die Briten ihr BSE -Pulver noch in alle Welt, Hunderttausende Tonnen gelangten nach Indonesien, Thailand, Frankreich, Russland, Schweden, Indien und Saudi-Arabien. 14,46 Doch die erwarteten Massenausbrüche blieben aus. Besonders infektiös kann das britische Tiermehl also nicht gewesen sein.
Die Tatsache, dass in England Zehntausende Kühe erkrankten, die etliche Jahre nach dem Tiermehlverbot geboren wurden, lässt sich weder mit unvermeidlichen Restbeständen an Futter noch mit einem gelegentlichen Umgehen des Verbotes erklären. 36,85 Auch in der Schweiz erkrankten viele Tiere, die niemals Fleischmehl oder Fertigfutter erhalten hatten und aus gesunden Herden stammten. 52 Damit vermag die Fleischmehlhypothese allenfalls einzelne Fälle zu erklären, aber offensichtlich muss es noch ganz andere, wesentlich wirksamere Übertragungswege geben. Davon später mehr.
Tierversuche kratzten weiter an der Scrapie-Hypothese. Es ist experimentell nicht gelungen, mit den Erregern der Schaf-Scrapie Rinder- BSE hervorzurufen. Ebenso wenig ließ sich BSE durch infiziertes Tiermehl auf Kälber übertragen. Doch im Labor lassen sich nicht alle Unwägbarkeiten der Fütterung nachstellen, darum sind Experimente, bei denen der Pansen umgangen wird, beweiskräftiger. Deshalb injizierten die Forscher Hirnmaterial von Scrapie-Schafen direkt ins Gehirn von gesunden Kälbern. Dieses veränderte sich zwar, zeigte aber keine Merkmale einer BSE -Infektion, auch dann nicht, wenn man das infizierte
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