Wer hat das Rind zur Sau gemacht?
Material abermals auf andere Kälberhirne übertrug. 20,21 Die Methode, Hirnmaterial eines infizierten Tieres in das Gehirn eines Versuchstieres zu spritzen, ist der gängige Nachweis einer Infektion mit dieser Art von Erregern. Scrapie scheidet als Ursache von BSE daher aus. 13,61
Statt an BSE erkrankten die Kälber am Downer-Syndrom, und das hatte niemand erwartet. Das Downer-Syndrom ist eine Sammelbezeichnung für «festliegende» Rinder: Die Tiere kommen einfach nicht mehr auf die Beine. Seine Ursachen sind vielfältig, eine Form wird offenbar durch Scrapie-Erreger ausgelöst. Verfütterte man Downer-Kühe oder die Innereien von Scrapie-Schafen an Nerze, was in der Pelztierzucht früher nichts Ungewöhnliches war, dann fielen hin und wieder ganze Zuchten dem Nerzwahnsinn zum Opfer. 73
Scrapie ist also wie alle spongiformen Encephalopathien unter bestimmten Umständen auf andere Tierarten übertragbar, führt jedoch beim Rind zu einem völlig anderen Krankheitsbild als BSE . Da auch in Europa Pelztierzüchter von Ausfällen durch Downerrinder berichteten, ist Scrapie auch bei uns schon lange unter Rindern vertreten. Die Krankheit ist offenbar selten, aber es gibt sie. Das störte jedoch niemanden, denn sonst hätte vielleicht das eigene Selbstbewusstsein gelitten, und wir könnten nicht länger auf die Briten herabblicken.
Hirnschmalz
Nerze haben als Raubtiere einen völlig anderen Verdauungstrakt als Rinder. Aber auch der Verdauungstrakt eines Pflanzenfressers ist nach der Geburt ausschließlich auf tierische Nahrung eingestellt, nämlich auf Milch. Könnte es dann nicht beim Neugeborenen zu einer Übertragung kommen? Der noch unreife Verdauungstrakt ist bekanntlich ziemlich durchlässig für kleinere Partikel, namentlich für intakte Eiweiße. Hier gibt es in der Tat einen kuriosen Infektionsweg, einen höchst unappetitlichen noch dazu. Der Milchaustauscher, den die Kälber erhielten, war damals mit Extrakten aus Rinderhirnen aufgemotzt. Harte Beweise für diesen Übertragungsweg gibt es nicht, aber die Beobachtung, dass in Bayern vereinzelt Weiderinder an BSE erkrankten, die nie Tiermehl erhalten hatten, aber als Kälber mit Milchaustauscher ernährt worden waren, lässt einen solchen Zusammenhang plausibel erscheinen.
Noch mitten in der BSE -Krise haben sogenannte Knochensammler-Betriebe Hunderttausende Tonnen von Rinderschädeln bei den Schlachthöfen aufgekauft. Diese wurden von Spezialbetrieben samt Hirn bei milder Wärme zu Fetten und Fleischknochenmehl verarbeitet. 38,69,70 Hirn enthält erhebliche Mengen an Fett. Das Fett kam in die Milchaustauscher für die Kälber – wohl, weil es sich ja um Rinderfett handelte. Das war billiger als Milch. Den Behörden waren diese unhaltbaren Zustände zur Zeit der BSE -Krise längst bekannt, nach Aussage von Branchenkennern haben sie aber nicht «auf Warnungen und Mahnungen» reagiert. 70
Es ist schon kurios: In Deutschland galten für die Tiermehlherstellung strengere Anforderungen als in England – sofern sie denn eingehalten wurden. Aber sie galten nicht für das echte Risikomaterial: die Schädel der Rinder! Doch das störte in Deutschland niemanden. Selbst die BSE -Krise löste keine sachdienlichen Aktivitäten in den Amtsstuben aus. Man zeigte lieber mit dem Finger auf das Vereinigte Königreich. Eine gemeinsame Stellungnahme der zuständigen Bundesbehörden bestätigt den unglaublichen Tatbestand: «Noch bis Mitte des Jahres 2000 wurden in Deutschland Knochenmehle und auch in der Tierfütterung verwendete Tierfette bei Temperaturen von nicht über 100°C erzeugt.» 69
Doch auch der Übertragungsweg durch Milchaustauscher vermag den Massenausbruch in Großbritannien nicht zu erklären, anderenfalls hätte man in vielen anderen Ländern ähnliche Entwicklungen beobachten können. Zudem wäre selbst in diesem Falle nicht das eiweißreiche «Tiermehl» die Ursache, da es sich technologisch gar nicht zur Herstellung von Kälbermilch eignet, sondern das Fett, genauer gesagt, das Fett, das aus Rinderhirnen gewonnen wurde. Josef Kamphues von der Tierärztlichen Hochschule Hannover geht ebenfalls davon aus, dass «bis Ende der 90er auch unraffinierte Fette eine größere Bedeutung hatten» – also Material, das nicht erhitzt und auch nicht technisch gereinigt worden war. 38 Folglich bargen diese Fette ein erhebliches Infektionsrisiko – auch für Kälber.
Die
Frankfurter Allgemeine Zeitung
fand außerdem heraus, dass drei bayerische Knochensammler das Fett
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