Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Details informiert, das große Ganze aber …«
»Ja?«
»Ach, vergessen Sie’s, Peggy«, sagte van Harm und winkte müde ab. Er trank einen großen Schluck Bier und begann, Peggy ausführlich zu erklären, wo sie sich hier befanden: »Unser Örtchen besteht eigentlich aus drei einzelnen Dörfern, die man irgendwann eingemeindet hat. Altwassmuth ist das größte Dorf mit fast dreihundert Menschen. Da steht das Pfarrhaus und der Feuerwehrschuppen und die Bushaltestelle. Das zweitgrößte Dorf ist Vieracker, mit zweihundert Bewohnern, und in Zirnsheim, wo wir jetzt sind, leben gerade noch achtzig Menschen.
Wenn wir eine Karte hätten, eine richtige aus Papier, würden Sie sehen, dass die Gemeindeteile in einem gleichschenkligen Dreieck zueinander angeordnet sind. Wobei die Schenkel des Dreiecks, das, was die drei Ortsteile verbindet, ein ausgebauter Feldweg ist, über dessen einen Teil Sie vorhin gedonnert sind, als wäre der Leibhaftige hinter uns her gewesen.«
Peggy kicherte.
»Ungefähr zwei Kilometer liegen zwischen Altwassmuth und Zirnsheim. Und zwei Kilometer auch zwischen Zirnsheim und Vieracker. Und zwischen Vieracker und Altwassmuth. Weil das Dreieck gleichschenklig ist, verstehen Sie, Peggy? Deswegen sind die Entfernungen gleich.«
»Schon klar«, sagte Peggy, »ick hab Abitur, und ick hab’s kapiert.«
»Ich meine ja nur.«
»Sonst noch wat, das ick wissen müsste?«
»Fährt man auf der B 167, die durch Altwassmuth führt und auf der wir vorhin gekommen sind, weiter südlich, ist man nach fünfzehn Kilometern schon in Frankfurt Oder. Falls man mal einkaufen will. Für kleinere Besorgungen reicht auch die Kreisstadt im Norden, die nur acht Kilometer entfernt liegt, auch an der B 167. Sie sind ja vorhin durchgekommen, Peggy, als ich kurz eingenickt war. Da gibt es übrigens auch einen Bahnhof mit direkter Verbindung in unser schönes Berlin.«
Peggy hatte sich bei seinen letzten Worten eine Zigarette angezündet. Kai van Harm stand auf und ging mit leicht pikiertem Blick zum Fenster, um es zu öffnen. Dann nahm er eine Untertasse aus dem Geschirrschrank, stellte sie vor Peggy hin und sagte: »Ach, überhaupt, die Oderlandschaft, das Bruch. Diese Auen und das still fließende Wasser, das jedes Frühjahr zu bedrohlicher Majestät ansteigt. In nicht mal einer Stunde sind Sie mit dem Fahrrad dort. Das ist die pure Idylle: die Ruhe und der harmonische Anblick. Ich könnte dort stundenlang am Ufer spazieren.«
»Klingt ja toll«, sagte Peggy, und es ließ sich nicht sagen, ob sie es sarkastisch meinte oder nicht.
Van Harms Stimme jedenfalls klang sachlicher, als er fortfuhr: »Dann gibt es noch eine Kneipe hier in Zirnsheim, das Deutsche Haus, vor der ich Sie nur warnen kann, ein paar Schritte die Straße hinauf. Und im alten Gutshaus von Vieracker residieren Künstler aus der Stadt, die mit einem Stipendium ausgestattet sind und in der ehemaligen neugotischen Backsteinkirche ihre Werke zeigen dürfen.« Während van Harm Werke sagte, zeichnete er unsichtbare Gänsefüßchen in die Luft.
»Bemerkenswert ist«, fuhr er nach einem nächsten Schluck Bier fort, »dass alle drei Gemeindeteile über eine eigene Kirche verfügen, alle im gleichen Stil gebaut, aber nur in Altwassmuth finden meines Wissens noch Gottesdienste statt. Was mit der Zirnsheimer Kirche ist, kann ich Ihnen gar nicht genau sagen. Aber nett restauriert ist sie auf jeden Fall. Sie können sich morgen selbst davon überzeugen. Sie ist nur ein paar Meter von hier entfernt, an der alten Linde.«
Dann schwiegen sie eine Weile. Peggy schien auf einmal sehr erschöpft zu sein, von der Fahrt und von dem Arbeitstag. Man hörte nur das Knistern ihrer Zigarettenglut und die Schluckgeräusche van Harms, und ab und zu drang das Hundejaulen aus einer fernen Galaxie zum offenen Fenster herein.
»Aber das Allerbeste«, platzte van Harm unvermittelt heraus und knallte dabei die Bierflasche so heftig auf den Tisch, dass Peggy zusammenfuhr, »das Allerbeste habe ich Ihnen noch gar nicht erzählt. Unser kleines Örtchen hier ist nämlich berühmt und zwar bis weit hinaus über die Landesgrenzen. Und jetzt raten Sie mal, wofür, liebe Peggy?«
»Keene Ahnung.«
»Für die Störche , die hier jedes Jahr brüten. Zu Dutzenden, ach, was sag ich, zu Hunderten wahrscheinlich. Sie kommen immer wieder. In zig Generationen jetzt schon. Und jedes Jahr kommen auch die Fernsehteams und die Lokalreporter wieder, um von der aktuellen Brutsaison zu berichten. Im
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