Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximo Duncker
Vom Netzwerk:
hinweg.
    Und wenn dann eine der rehäugigen, jungen Absolventinnen der Axel-Springer-Journalistenschule, der vom ganzen Zahlenbrimborium des Bezirksmeisterschwadroneurs die Ohren schlackerten, eingeschüchtert fragte, was man denn gegen all das Ungemach seines Problemkiezes tun könne, streckte der Bürgermeister den Bauch raus, stützte die Hände in die Hüften und sagte: Erstens: Bürgerwehren. Passiv bewaffnet, Kiezpatrouille. Und zweitens: all jenen das Geld streichen, die auf Kosten der Allgemeinheit lebten, sich ihr aber nicht unterordneten. Zunächst, als Warnschuss vor den Bug, nur noch so und so viele Prozente auszahlen. Bei wiederholten Verstößen, etwa dem Schulschwänzen des Nachwuchses, so und so viele Prozente mehr kürzen. Bei anhaltender Renitenz schließlich sämtliches Geld durch Essensgutscheine ersetzen, die in ausgewählten, videoüberwachten Discountern eingelöst werden könnten. Und wenn selbst diese drastische Maßnahme keinen Erfolg zeitigte, auch die Essensgutscheine noch streichen. Punkt.
    »Okay, Herr Bürgermeister, ich danke Ihnen, wünsche viel Erfolg bei Ihrer Mission, und gebe zurück zu meiner lieben Kollegin Nasarin, die im Studio schon mit den Promi-News wartet!«
    Van Harm hatte es also in einen Rabaukenbezirk verschlagen, in dem man entweder groß geworden sein musste, um das Leben in ihm normal zu finden, oder vollkommen abgestumpft. Vom Alkohol benebelt oder schon von den Fürsorgeaufsehern in den Verwaltungsämtern des Mangels zerrieben. Da, wo sich Not und Elend gute Nacht sagten. Über die Schreibtische der Sachbearbeiter hinweg. Und in den Umkleidekabinen der Kompetenzteams. Mit den funkelnden Exzellenz-Bestecken in den Fleischerschürzen.
    Oder aber, eine dritte Möglichkeit: Alles musste einem so dermaßen ungewohnt vorkommen, so jenseits jeder bisherigen Erfahrung, dass man bereit war, in dem Ungemütlichen, in dem zuweilen sogar Gefährlichen das abenteuerliche Element zu sehen. Den Reiz des Exotischen. Das neue Ufer, hinter dem sich weites unentdecktes Land dehnte.
    Und Letzteres traf doch tatsächlich auf van Harm zu. Sogar einen Monat noch, nachdem er von zu Hause ausgezogen war. Trotz der Angst, die er nicht gerade selten auf der Straße spürte. Trotz des gelegentlichen Ekels, der in ihm aufstieg, wenn er am Discountereingang über Lachen von Erbrochenem hinwegsteigen musste, um hineinzugelangen. Er hätte es selbst bis vor Kurzem nicht für denkbar gehalten.

 
    Eine kleine Landpartie
    »Du siehst aba jar nicht jut aus, Herr van Harm«, sagte Peggy und zog die rechte ihrer strichdünn gezupften und neuerdings pinkfarbenen Brauen hoch. Die aktuelle Färbung verlieh ihrem Gesicht etwas Puppenhaftes. Ihre grünen Augen wirkten dadurch noch stechender, als sie sowieso schon waren.
    »Mir geht’s auch nicht besonders«, sagte van Harm – ein wenig gegen seinen Willen – die Wahrheit und reichte Peggy die drei Brotscheiben in den Treppenflur hinaus, um die sie ihn gebeten hatte. Wegen ihrer beängstigenden Brauen versuchte er, leicht an ihrem Gesicht vorbeizusehen.
    »Nu ma nich die Flügel hängen lassen: Wat is et denn? Die Familie? Oder dit Jeld?«
    »Beides«, sagte van Harm. »Mal mehr das eine, dann wieder mehr das andere. Das Gefühl …«
    »… nicht jebraucht zu werden. Ja, ja, man kennt dit aus’m Fernsehn«, ergänzte Peggy eigenmächtig und falsch den Satz, mit dem Kai lediglich seine Langeweile tagsüber zum Ausdruck hatte bringen wollen.
    Mit einem Klacken ging das Flurlicht aus, van Harm tastete nach dem Schalter neben seiner Wohnungstür, und als es wieder brannte, sagte Peggy: »Weeßte wat? Du musst einfach ma raus, Herr van Harm. Raus aus Berlin, raus aus der Stadt. Mal ein paar Gänge runterschalten und so. Frische Luft atmen, die Seele baumeln lassen, wie immer du dit nennen willst. Am Ostseestrand spazieren jehn und dir vom Wind die schlechten Jedanken wegpusten lassen. Jetze ist doch der perfekte Zeitpunkt dafür: Mitte Juni und dit Wetter vom Feinsten.«
    »Wenn das mal so einfach wäre!«
    »Ick weeß, Herr Nachbar, du bist gerade ziemlich knapp bei Kasse, ein Hotel musste dir wohl abschminken, aber, hey, soll ick dir wat sagen? Ick borg dir mein Zelt.« Sie stupste ihn mit dem Ellenbogen in die Seite, was ein bisschen wehtat. Aber er ließ sich nichts anmerken.
    »Ach ja, auch wenn das zu liebenswürdig ist von Ihnen, liebe Peggy, das ist nicht das Problem. Ich besitze ein Haus auf dem Land, in das ich mich jederzeit zurückziehen

Weitere Kostenlose Bücher