Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Wo war ick noch ma stehnjebliem? Ach ja …«
Pfarrer Pagel organisierte also nicht nur diverse Festivitäten, sondern obendrein noch den Altwassmuther Widerstand gegen die Schweinezuchtanlage, die nicht nach den zeitgemäßen Maßstäben von Ökologie und Nachhaltigkeit arbeitete, sondern nach denen der industriellen Massentierhaltung und -vermehrung. Dazu mochte man persönlich stehen, wie man wollte, aber so war es nun mal. Wobei »Widerstand« zugegebenermaßen ein etwas zu großes Wort war. Vielmehr traf sich Pagel in unregelmäßigen Abständen mit Annalena Petzold – »Sie wissen schon: Tochter der Immobilienentwicklerin, wat imma dit ooch sein mag« –, seinem eigenen Sohn Benjamin und ein paar von deren Schulfreunden aus der Kreisstadt, um gemeinsam am Petitionstext einer weiteren Unterschriftenliste oder an Ideen für ein neues Plakat zu arbeiten, in dem einmal mehr das Recht der Schlachttiere auf eine menschliche Behandlung gefordert wurde. Im Grunde waren es dieselben Leute, die manchmal zu den Demonstrationen nach Berlin fuhren. Hatten sie einen neuen Entwurf fertig, was zirka einmal im Quartal vorkam, klebten die jungen Leute Dutzende der Plakate an sämtliche mögliche Stellen in allen drei Ortsteilen von Altwassmuth. Sie kamen sich sehr wichtig dabei vor, und gingen erst los, wenn schon die Dunkelheit am Abend hereinbrach. Sie trugen dunkle Klamotten und hatten Taschenlampen dabei, wenn sie auf ihren Mountainbikes vom Altwassmuther Dorfkern über die Huckelpiste nach Zirnsheim bretterten und von dort nach Vieracker und wieder zurück. Sie beklebten die Bushaltestelle an der Bundesstraße und das Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr, die Eingangstüren von Deutschem Haus und jene der Künstlerherberge, und alle Plakate, die danach noch übrig waren, hängten sie in den Maschendrahtzaun, der die »Schweinemastanlage Jagoda GmbH« vor unbefugten Eindringlingen schützte.
Mit den Unterschriftenlisten dagegen begaben sie sich vor allem in die Einkaufsstraße der Kreisstadt. Manchmal lungerten sie auch mit selbstgemalten Transparenten auf dem Parkplatz des Discounter-Zentrums herum, um friedlichen Mitbürgern das preiswerte Fleisch ihres Sonntagsbratens madig zu machen.
»Also halt mal jetzt«, unterbrach Kai van Harm abermals Bruno Zabels Bericht über den Altwassmuther Popen, »was wollen Sie denn nun eigentlich? Billiges Fleisch aus unethischer Haltung oder das genaue Gegenteil?«
»Is do’ janz einfach: Ick will nich, dass Leute wie Sie mir sagen tun, wat ick zu wollen hab. Kapito?« Brunos Blick bekam für eine Sekunde die Kraft eines gebündelten Lasers, bevor er mit seiner Erzählung fortfuhr.
Der Höhepunkt einer solchen Parkplatzbelagerung bestand darin, dass die Jugendlichen sich die Kapuzen ihrer Sweatshirts über die Köpfe zogen, Sonnenbrillen aufsetzten und Tücher vor die Münder banden. Außerdem spreizten sie die Finger zum Victoryzeichen, und sie fotografierten sich in dieser Pose gegenseitig vor den ausgebreiteten Transparenten. Die Bilder ihres Widerstandes stellten sie später ins Internet, wo sie von anderen Internetnutzern angesehen und kommentiert werden konnten.
Um es kurz zu machen: Das Engagement des zugezogenen Ehepaares Pagel für die Gemeinde war beachtlich. Wobei der Pfarrer es recht schnell aufgegeben hatte, die Dorfbewohner in die wöchentlichen Gottesdienste zu locken, und seitdem eher versuchte, sie auf der allgemein-menschlichen Ebene zu zivilisieren.
»Watta aba niemals zujeben täte, wa?«, sagte Bruno und schluckte trocken, während er den Blick zur offenen Gaststättentür schweifen ließ.
»Sie glauben nicht an Gott, oder?«
»Pfff«, machte Bruno und sah Kai van Harm mitleidig an, »Sie etwa?«
»Eine komplizierte Materie. Könnte ich nicht sagen, so auf die Schnelle. Aber was anderes: Haben Sie die Hosenträger des Wirts gesehen?«
»Is eben ein alter Nazi«, flüsterte Bruno Zabel auf eine Art, dass sich nicht sagen ließ, ob er es ernst meinte oder nicht.
»Du hastet nötig, du rote Socke«, sagte der Wirt, der in diesem Moment mit einem Getränketablett an ihren Tisch trat, mit dröhnender Stimme und grinste Bruno an.
Während van Harm an seiner Brause nippte, setzte Bruno den Bierkrug an den Mund und trank vielleicht eine halbe Minute lang, ohne abzusetzen. Sein Kehlkopf hüpfte dabei auf und ab und auf und ab. Fast der gesamte halbe Liter Bier war in Bruno verschwunden, als er den Krug zurück auf den Tisch knallte. Er wischte sich mit dem
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