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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximo Duncker
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insgeheim an der Richtigkeit ihrer eigenen Feststellung.
    Sie schwiegen eine halbe Minute, und dann sagte van Harm, nur um überhaupt irgendetwas zu sagen: »Wollen Sie vielleicht etwas zu trinken?«
    »Der Olle da«, sie nickte zur Kneipentür, »bedient mich sowieso nicht. Und ich kann ihm auch sagen, warum …« Sie sah van Harm in die Augen: »Will er es hören?«
    »Na ja«, sagte van Harm, der es natürlich nicht hören wollte, sondern lieber fünf Euro auf den Tisch gelegt und sich in sein ruhiges, kühles Haus zurückgezogen hätte, um ein kleines Mittagsschläfchen zu halten, »warum eigentlich nicht.«
    Als Frau Wurst nach fast exakt einer halben Stunde fertig war, dreißig Minuten und zweiundzwanzig Sekunden, in denen sie ununterbrochen geredet hatte, während van Harm immer wieder unauffällig auf seine Armbanduhr schielte, kannte er fast jedes Detail ihres Lebens. Oder wenigstens fühlte es sich so an, weswegen er auf der Stelle auch sofort begann, das meiste davon wieder zu vergessen. Nur so viel behielt er im Kopf: Frau Wurst war 62 Jahre alt und zu DDR -Zeiten Leiterin der Konsum-Verkaufsstelle in Altwassmuth gewesen. Wenige Jahre nach der Wende war ihr Laden dichtgemacht worden, genauso wie die kleine Poststelle. Eine Weile hatte sich auch Frau Wurst vom Amt gängeln lassen, war in Umschulungen und Qualifizierungslehrgänge gesteckt worden, was ihr unter anderem den Titel einer zertifizierten Webdesignerin eingebracht hatte, obwohl sie noch nicht mal einen Computer besaß. Aber irgendwann war ihr das alles zu viel geworden, das ewige Hin und Her, und sie hatte mit Hilfe von Bruno Zabel einen Plan für die Selbstständigkeit ausbaldowert: Das Wurst-Mobil eben, das den Alten und Gebrechlichen dezent überteuerte Lebensmittel feilbot. Dank Bruno Zabels persönlichem Draht zum Amt lief die Beantragung von Fördergeldern, Zuschüssen et cetera pp wie am Schnürchen. Er war es auch, der einen schrottreifen Kastenwagen aus alten NVA-Beständen aufgetrieben hatte und half, ihn so umzubauen, dass er mit Hängen und Würgen den hygienischen Vorschriften der Europäischen Union für motorisierte Lebensmittel-Verkaufsstände genügte. Oder wie immer die entsprechende Verordnung hieß.
    Seither also war das Wurst-Mobil in den abgelegenen, in den bewegungs-und geschäftelosen Flecken des Landkreises unterwegs. Doch Frau Wurst verkaufte nicht nur Zucker, Mehl, Salami und Drogerieartikel an ihre Kundschaft, sie saugte auch all die Nachrichten und Geschichten der alten Leutchen auf, all die Gerüchte und Mutmaßungen, die ihnen in den einsamen Momenten der langen Tage durch die Köpfe spukten. Und sie verwob sie während ihrer eigenen einsamen Fahrten im Wurst-Mobil zu einer großen Erzählung. Zu einem Mythos der Heimat, der sich stetig wandelte und erweiterte. Denn die Landstraßen und Feldwege waren Frau Wursts Datenautobahn, und sie selbst war das Medium und der Verstärker jener großen mündlichen Alltagsgeschichte des schönen und menschenarmen Landkreises Märkisch-Oderland.
    Und genau deshalb wusste sie jetzt Kai van Harm allerlei Auffälliges und Ungereimtes aus Wolf Kretzschmers, des grimmigen Wirtes, Vergangenheit zu berichten. Etwa, dass der als Witwer lebte seit mehr als zehn Jahren, was allein natürlich noch nicht der Rede wert war, hätte es nicht damals, kaum war die Frau unter der Erde, schon Gerüchte gegeben, der Autounfall, der sie dahingerafft hatte, sei gar keiner gewesen. Gerüchte im Übrigen, die bis heute nicht verstummt seien.
    Bei den letzten Worten hatte Frau Wurst die Stimme gesenkt, kaum merklich Richtung Gaststube genickt und obendrein ihren ausgestreckten Zeigefinger verschwörerisch an die Lippen gelegt.
    Van Harm verdrehte in Gedanken die Augen. Er konnte sich schon denken, wem es zu verdanken war, dass die Gerüchte bis heute ihre Runden drehten.
    Aber da war eben nicht nur die Sache mit der verunglückten Frau. Im Hinterzimmer des Deutschen Hauses trügen sich seit Kurzem seltsame Dinge zu, am Montag, würden die Leute behaupten, wenn Ruhetag war. Grauenhafte Geräusche, unmenschliche Schreie, schmerzvolles Stöhnen, das Kreischen von Maschinen, all das hatten einige von Frau Wursts Kunden durch die geschlossenen Fensterläden vernommen, vorzugsweise in den ungemütlichen Zeiten des Jahres, wenn es dunkel war und der Wind pfiff und die Nebelbänke vom Acker oder dem Biosphärenreservat ins Dorf wanderten, und das, obwohl das Hinterzimmer mit dem kleinen Tanzsaal und der schmalen

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