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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximo Duncker
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die drei gleichen, die uns nun noch jeblieben is, wa?«, seufzte Bruno, und entgegen seiner ansonsten demonstrativen Verachtung des Religiösen klang das Bedauern an dieser Stelle ehrlich.
    Und ähnlich wie der junge Förster bemühten sich auch die Pagels um einen engen Kontakt zu den Einheimischen, denn eines war dem Pfarrer von Anfang an klar: Wollte er diese Bande gottverlassener Atheisten auf seine Seite bringen, konnte er fromme Worte und heimliche Gebete vergessen. Da mussten andere Kaliber aufgefahren werden, da musste er Köder auslegen, nach denen die Einheimischen gern schnappten. Schweinefleisch zum Beispiel, das so lange auf einem Rost über offener Glut garte, bis es leicht angekohlt war. Denn erst die schwarze Kruste brachte, wie man hier wusste, den Geschmack ins geröstete Tier. Ein Bierchen dazu vom frisch angestochenen Fass, auch zwei oder drei Schnäpse, Lampionketten und ein langer freundlicher Juniabend, der nahtlos in eine lauschige Sommernacht überging.
    Später dann gab es Musik der volkstümlichen Art aus der Gemeindeanlage, zu der sich selbst die größten Stinkstiefel aus dem Dorf mit ihren angeschickerten Gattinnen irgendwann im Diskofox drehten, meist kurz vor Mitternacht, wenn sie der Alkohol vollständig enthemmt hatte.
    Seit der Pfarrer seine Stelle angetreten hatte, wurde auf diese Weise jedes Jahr am dritten Juniwochenende das Altwassmuther Sommerfest gefeiert, auch bekannt als Storchenfest, zu dem, aufgescheucht von den Regionalnachrichten des dritten Fernsehprogramms, selbst Besucher aus dem fernen Berlin kamen. Bei einem zweiten Fest im späten Herbst wurden dann mit einem letzten Freiluftbarbecue des Jahres die Zugvögel symbolisch gen Süden verabschiedet. Wobei angemerkt werden muss, dass sich im Laufe der Jahre immer mehr Tiere entschlossen haben, auf die Kraft zehrende Reise nach Afrika zu verzichten und stattdessen im Brandenburgischen zu bleiben. Kamen ein paar Tage sehr grimmigen Frostes übers Land, so wie es letztes Jahr geschehen war, sammelten, einmal mehr auf Pfarrer Pagels und des Försters Initiative hin, ein paar Freiwillige die klammen, verfrorenen Tiere aus ihren Nestern und von den umliegenden Äckern und Wiesen und Sümpfen und päppelten sie so lange in einer leeren, beheizten Scheune wieder auf, bis die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings die Schneeglöckchen aus dem Boden kitzelten.
    Frau Pagel kümmerte sich um das jährliche Adventssingen und die »Begegnungstage der Generationen«. Sie versuchte, das allerdings bislang vergeblich, einen Gospelchor zu gründen, während ihr Mann sich nicht nur gegen allerlei Kriege in fernen Ländern engagierte – mal mit Unterschriftenlisten, die er ins Kanzleramt nach Berlin schickte, mal, indem er Kleinbusse organisierte, mit denen eine Handvoll Altwassmuther Pazifisten und ihre Mitstreiter aus der Kreisstadt, hauptsächlich Gymnasiasten, zu Demonstrationen in die Hauptstadt fuhren –, sondern auch mit ganzer Kraft das Unrecht vor der eigenen Haustür bekämpfte. Nein, man musste schon sagen: das Unrecht auf der eigenen Haustür schwelle . Denn man konnte es riechen, das hauseigene Unrecht, es stank zum Himmel, bei ungünstigem Ostwind ganz besonders, und es war zu Hause in jenem hässlichen Betonflachbau, der mitten im Biosphärenreservat der Zirnsheimer Wiese klebte wie ein Furunkel auf einem zarten Babypopo.
    »Sie meinen die Schweineställe, oder?«, fragte Kai van Harm. Er sah Bruno an und konnte nicht verhindern, dass sich um seine Mundwinkel spöttische Fältchen bildeten, denn als zu komisch empfand er den Vergleich mit dem Babypo, den sein Gegenüber wie aus dem Nichts in seine Rede eingebaut hatte.
    »Bingo, Sherlock!«
    »Aber das sind doch auch Arbeitsplätze«, erwiderte van Harm.
    » Arbeitsplätze, Arbeitsplätze «, äffte Bruno ihn nach. »Es geht doch nich immer nur um eure scheiß Arbeitsplätze.«
    »Entschuldigen Sie mal«, sagte van Harm mit ungewollt spitzer Stimme. Er war leicht pikiert über den plötzlich groben Ton des anderen. »Ich dachte, Leuten wie Ihnen ginge es in erster Linie um die Arbeitsplätze.«
    »Bloß weil ick selba arbeitslos bin, oder wat?«
    »Nein, nein, weil die ganze Gegend hier … na ja, Sie wissen schon, dem – wie soll ich sagen – Strukturwandel unterworfen ist.«
    Bruno sah ihm direkt in die Augen.
    »Und so weiter.«
    »Wer is hier wem unterworfen?« Jetzt war es an Bruno, den spöttischen Blick zurückzuwerfen. »Verscheißern kann ick mir alleene, Herr …

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