Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
genannt. Beide trugen sie schwarze T-Shirts von irgendwelchen Bands, die Kai nicht kannte, die aber eine Vorliebe für Totenköpfe und grässliche verzerrte Fratzen zu haben schienen. Ihre halblangen, blonden Haare ließen sie tief in ihre Gesichter hängen, und wenn Kai die Augen zusammenkniff, hatte er Schwierigkeiten zu sagen, wer von beiden Janne war und wer Erik. Für seinen Geschmack sah Janne eine Spur zu männlich aus und Erik einen Tick zu weiblich. Was er aber niemals laut moniert hätte, denn er wollte vor ihnen nicht als der reaktionäre Idiot dastehen, für den sie ihn wahrscheinlich sowieso hielten.
Die Begrüßung auf dem Bahnsteig war kurz und schmerzlos. Die Kinder wunderten sich nicht einmal über Bruno, der bei aller aufkommenden Sympathie trotzdem heute aussah, wie sich der Großstädter den prototypischen Hinterwäldler vorstellte: ausgelatschte Sandalen zu gemusterten Socken, eine zeitlose Synthetikhose, in deren Bund ein kurzärmliges, grob gewürfeltes rot-weißes Hemd gestopft war. Auf dem Kopf saß ihm statt der normalen Schiebermütze ein kleiner Strohhut, zum Schutz vor der Sonne. Kai fragte sich, ob Bruno in dieser Aufmachung bei Frau Pagels Begräbnis am Morgen aufgekreuzt war oder ob er sich in einen schwarzen Anzug gezwängt hatte. Er konnte sich das eine so gut wie das andere nicht vorstellen.
Bruno wiederum schien sich nicht am Äußeren der Kinder zu stören, die sich angesichts von Brunos japanischem Patchwork-Automobil nun doch kurz ansahen und die Nasen rümpften. Aber da es außer Kai niemandem aufgefallen war, war es egal.
Als sie dann im Haus angekommen waren, packten Janne und Erik als Erstes ihre elektronischen Spielzeuge aus. Sie besaßen beide ein Notebook, ein Handy sowie Digitalkameras. Erik hatte außerdem eine Spielkonsole mitgebracht, die er an den LCD -Fernseher anschließen wollte, und Janne einen digitalen Camcorder. Die Küche quoll geradezu über vor Kabeln, Akkus und Ladegerä ten, und ein wenig schämte sich Kai vor Bruno Zabel, der mit staunendem Gesicht den Einbruch der elektronischen Moderne in die rustikale Bauernstube verfolgte.
Den Rest des Nachmittags waren die Kinder damit beschäftigt, ihre Klamotten auszupacken, die Gerätschaften herzurichten und ihre Internetzugänge zu konfigurieren, und als sie das geschafft hatten, saßen sie friedlich nebeneinander am Küchentisch, sahen auf die Bildschirme ihrer Laptops, tippten und klickten, und manchmal huschte ihnen dabei sogar ein winziges Lächeln übers Gesicht.
Kai und Bruno hatten sich in den Hof zurückgezogen, wo Bruno den Grill reinigte, während Kai ihm dabei zusah. Als es auf die Abendbrotzeit zuging, sagte Bruno, dass er kurz verschwinden würde, und als er nach einer halben Stunde wiederkam, hatte er ein Netz mit kalten Bierflaschen dabei und große Packungen voller Neon-Fleisch, deren Anblick Kai eine Gänsehaut verpasste. Aber weil Bruno das Fleisch grillte, bis es fast schwarz war, wobei er immer wieder Bier in die auflodernden Flammen goss, was man in Berlin schon lange nicht mehr machte, weil es Krebs erzeugte, schmeckten die Steaks weit weniger schlimm als befürchtet.
Sie aßen Kartoffeln aus der Glut, zu denen es einen Sauerrahmdipp mit frischen Kräutern aus dem Garten gab, eine von Kais Spezialitäten, den Bruno aber genauso ignorierte wie Janne und Erik.
Keiner sagte etwas, und das Beste war, es störte niemanden, dass alle schwiegen. Wäre Constanze hier gewesen, die gern das Schlimmste annahm, hätte sie das Schweigen als ein Zeichen dafür gedeutet, dass etwas nicht in Ordnung war. Dabei bedeutete es das genaue Gegenteil.
Das Ganze war schon verdächtig harmonisch, dachte Kai, aber im Grunde war er erleichtert. Die Kinder schienen nicht von ihm zu erwarten, dass er sich um sie kümmerte. Das übernahm statt seiner ein Haufen Elektrokrempel, und weil Kai wusste, dass dies kein pädagogisches Konzept war, das Constanzes Zustimmung gefunden hätte, fragte er nach dem Essen: »Habt ihr denn gar keine Bücher dabei?«
Erik sagte, im Internet gebe es genug zu lesen, und Janne fragte, ob sie noch ein bisschen nach draußen dürften. Was Kai natürlich freute, weil es Constanze gefreut hätte, die viel auf frische Luft gab. Sie war nicht umsonst Abgeordnete einer Frischluftpartei.
Bruno sagte: »Groß jeworden sind die Gören«, als sie später noch bei ein paar Bieren im Hof zusammensaßen und in die langsam vergehende Glut des Grills guckten.
Bruno berichtete von Frau Pagels
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