Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Ein erzählerischer Schlenker allerdings, der kaum mehr als ein Stirnrunzeln des Kommissars hervorrief. Kai van Harm, der sensibel war, fiel es trotzdem auf, weswegen er in seinem Bericht sofort einen gewaltigen Sprung tat, der unmittelbar in jenen Augenblick hineinführte, als er neben Bruno stand, das lodernde Kirchdach in Vieracker betrachtete und auf das Martinshorn der Feuerwehr wartete.
Das heißt, Bruno erwähnte er erst mal lieber nicht.
Aber während van Harm in epischer Breite das Lodern und den Geruch des Brandes, der sich mit jenem des Schweinemistes gemischt hatte, schilderte, was zu einem nächsten Stirnrunzeln der Polizei führte, überlegte er im Grunde nur, ob er nun doch endlich Zabels Anwesenheit am Tatort erwähnen sollte oder nicht. Dessen untätiges Starren in die Flammen an besagtem Morgen. Seine rußigen Hände. Den Korb mit Brandstiftungsutensilien, der unter seiner Garderobe gestanden hatte. Den man natürlich auch zum Entzünden von Grillkohle benutzen konnte, wie Bruno behauptet hatte. Aber eben nicht nur. Aber eben auch.
Bruno, Bruno, Bruno, was mache ich jetzt bloß mit Bruno?, dachte van Harm, während sein Mund halb automatisch weiterplapperte und jetzt schilderte, wie er, Kai van Harm, ins Künstlerhaus gestürmt war und der Küchenfrau die brenzlige Lage erklärt hatte, um an ihr Handy zu gelangen. Mit dem sie dann, quasi gemeinsam, die Feuerwehr gerufen hatten, die dann schließlich auch gekommen war.
Des Weiteren vergaß er nicht den heftigen Autoverkehr zu erwähnen, den er am Nachmittag auf der Buckelpiste zwischen Vieracker und Zirnsheim beobachtet hatte: Die arrogante Leiterin des Kunsthauses, die falsche Russin Tatjana Soundso und den Förster, das hektische und keinesfalls unverdächtige Hin und Her ihrer Autos.
»Das war’s dann aber auch gewesen«, sagte Kai van Harm wie aus heiterem Himmel und atmete erleichtert aus.
»Sicher?«
»Äh, was meinen Sie?«
»Was ist denn mit Bruno Zabel? Mit dem Sie vorgestern in der Kreisstadt waren, in der Arbeitsagentur, und mit dem Sie dann bis spät nachts noch in der Kneipe gesessen haben, wie hieß die nochmal …«
»Deutsches Haus.«
»Danke.«
»Ja, was soll denn sein mit Bruno Zabel?«, fragte van Harm, während er plötzlich panisch überlegte, was die Polizei ihm zu unterstellen gedachte. Und auch, was Zabel denn nun tatsächlich ausgefressen haben mochte.
»Eigentlich nichts«, sagte der Kommissar, »aber es ist schon auffällig, dass Sie ihn so ganz und gar nicht erwähnen, wo er doch selber ausgesagt hat, dass er als Erster am Tatort war, nur leider sein Handy nicht dabeigehabt hatte, mit dem er die Feuerwehr hätte anrufen können, dass aber zum Glück Sie kurz danach kamen und das dann höchstpersönlich im Künstlerhaus erledigt haben. Er hat auch erzählt, dass er Sie anschließend zu sich nach Hause genommen hat. Weil Sie einen Kreislaufkollaps hatten.«
»Den Bruno muss ich in der Eile ganz vergessen haben«, entgegnete van Harm, während der Kommissar aufstand und ihm einen Blick einschenkte, den er lieber nicht deuten wollte. So sah man kleine Kinder an, wenn sie was aus der elterlichen Geldbörse gestohlen hatten.
Als sie sich an der Haustür verabschiedeten, ohne Handschlag und recht kühl, fragte der Kommissar: »Mal was von den Jugendlichen bemerkt, hier am Ort?«
Und Kai, der seinen Patzer von eben liebend gerne wieder ausbügeln wollte, versuchte für ein paar Sekunden, seinem Gedächtnis das bisschen zu entlocken, was ihm Bruno Zabel nebenbei erzählt hatte: der Sohn des Pfarrers, der Sohn des Bürgermeisters, der Sohn des Schweinehirten und ein Mädchen, ja ein Mädchen gab es da wohl auch noch, aber das war doch keine Antwort, die man geben konnte, da käme doch höchstens wieder Stammeln und Stocken bei raus, wenn man das ein bisschen weiter ausführen sollte, und er mochte gar nicht an die Grimassen denken, die er jetzt unbewusst während des kurzen Nachdenkens über die Jugendlichen gezogen hatte. Deshalb sagte van Harm lieber gleich: »Nein, leider nicht.«
Was aber in seinen eigenen Ohren klang wie die mindestens zweite Lüge dieses Tages.
Telefonterror
Mit dem Besuch der Polizei allerdings hatte der anstrengende Teil des jungen Tages gerade erst begonnen. Kaum hatte der misstrauische Kommissar das Haus verlassen, klingelte van Harms Handy.
»Ja?«
»Icke bin’s.«
Kais Herz machte einen kleinen Hüpfer, als er die kurzen Worte hörte. Sie klangen nach Heimat, nach Berlin. Nun
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