Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Beerdigung, zu der fast alle Altwassmuther erschienen waren, vom Zusammenbruch ihres Mannes auf dem Friedhof. Überhaupt gingen sie noch einmal die Ereignisse der letzten Tage durch, die die Gemeinde erschüttert hatten. Es war nichts Tiefschürfendes, worüber sie sich unterhielten, nichts, was sie nicht auf die eine oder andre Art ohnehin schon besprochen hätten. Aber dennoch.
Als Janne und Erik noch einmal in den Hof kamen, um zu sagen, dass sie zurück seien und höflich eine gute Nacht wünschten, als seien sie gar nicht mehr die bockigen Teenager, die Kai von zu Hause zu kennen glaubte, waren drei Stunden vergangen.
»Jetzt aber hurtig: Jute Nacht!«
V für Vieracker
Ein paar Tage lang geschah nicht viel. Van Harm war hauptsächlich damit beschäftigt, seine Kinder zu versorgen. Das heißt: sie zu füttern. Janne und Erik kamen ihm beinahe wie Katzen vor, die nur zweimal am Tag nach Hause kamen, um zu fressen, und ansonsten draußen ihrer eigensinnigen Wege gingen. Van Harm malte sich aus, welche Abenteuer sie wohl in Wald und Flur und Feld erleben mochten, wenn er sie zu Fuß oder auf den Fahrrädern entschwinden sah. Und er war ein wenig neidisch auf sie, denn als Stadtkind, wenn auch in einem grünen Teil Berlins aufgewachsen, hatte er selbst nie Baumhäuser oder Flöße gebaut. War nie Angeln gewesen oder hatte Käfer gesammelt oder seltene Pflanzen, um sie in einer Botanisiertrommel nach Hause zu tragen.
Nur morgens beim Frühstück sahen die Kinder jetzt noch in ihre Notebooks, chatteten oder luden Fotos ins Internet. Oder spätabends, wenn sie nach Hause kamen und noch nicht zu müde waren. Van Harm wusste nicht wirklich, was sie da im oder mit dem Internet trieben, aber er wollte nicht fragen und schon gar nicht kontrollieren, denn die Gefahr, dass das friedliche Nebeneinander, das eher eine freundliche Ignoranz war, in Feindschaft umschlagen könnte, bestand jederzeit. Und dann wäre er mit einem gegen zwei in der Unterzahl. Also hielt er sich mit jeglicher Forderung an seine Sprösslinge zurück und beschränkte sich auf das Wesentliche, und das war die Beschaffung von Lebensmitteln, bei der ihm Bruno Zabel mit seinem Wagen und den enormen Kühlkapazitäten sowie der erweiterten Tagesfreizeit eine nicht zu unterschätzende Hilfe war.
Ansonsten saß Kai an einem verwitterten Tischchen im Hof, döste die meiste Zeit vor sich hin, mal mit Getränk, mal ohne, aber immer froh, seine Kinder nicht beschäftigen zu müssen. Er weckte sein Notebook nur aus dem Stand-by, wenn er jemanden kommen hörte. Auf dem Bildschirm erschien dann sofort ein langer Text, den er vor Urzeiten, noch als Redakteur, einmal geschrieben hatte, aber er bildete sich ein, dass sowohl Bruno als auch seine Kinder auf die Masche hereinfielen und dächten, er schreibe unermüdlich an jener Reportage über das Oderbruch, die er bereits mehrere Male und scheinbar beiläufig in ihrer Gegenwart erwähnt hatte.
Es war am folgenden Mittwoch nach der Ankunft der Kinder, und es war verdammt früh und fast noch dunkel, als jemand am Küchenfenster, in dem Bemühen, so wenig Krach wie möglich zu machen, besonders laut war. Van Harm hatte nicht den geringsten Zweifel, wem das schrille Flüstern gehörte, das ihn senkrecht im Bett hochfahren ließ: Bruno!
Als Kai nach einer Katzenwäsche aus der Tür trat, saß Bruno bei laufendem Motor im Wagen und wartete. Es war die magische Stunde, zu der die Vögel mit ihrem Gesang begannen.
»Ick muss Ihnen wat zeigen«, flüsterte er.
Warum denn ausgerechnet mir?, dachte van Harm. Aber wegen Brunos ständiger Hilfsbereitschaft kam es sowieso nicht mehr in Frage, dass er ihm auch nur irgendeinen Gefallen ausschlug.
Deshalb fragte er jetzt pflichtgemäß: »Was denn?«
»Sie wern schon sehn.«
Wortlos und ohne Brunos heiß geliebte Countrymusik fuhren sie über die Katzenkopfallee nach Vieracker. Aus der Zirnsheimer Wiese stieg der Dunst. Störche taperten durch den Salat, und wie ein UFO lag die Schweinemastanlage in der Wiese und tat so, als schlafe sie ganz friedlich.
Bruno stoppte den Wagen vor der ausgebrannten Kirche, in der bis vor Kurzem noch die Werke der falschen Russin ausgestellt gewesen waren. Jetzt waren sie Staub und Asche.
Sie liefen zur Rückseite der traurigen Ruine, wo sich der Friedhof befand, auf dem Generationen Toter aus den umliegenden Dörfern bestattet waren. Es war ein schöner, melancholischer Park, eigentlich zu groß dimensioniert für die Gegend und für die
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