Wer hustet da im Weihnachtsbaum? (German Edition)
grau aus wie sonst, sondern rot.
«Himmel, die Gans ist ja noch roh!», rief Mama entsetzt. «Die können wir unmöglich essen!»
Tante Traudl faltete die Serviette auseinander und legte sie auf ihren Schoß. «Das macht überhaupt nichts, ich bin zufrieden mit einem Kloß und etwas Soße. Wisst ihr, Gans ist mir sowieso viel zu fett. Ich musste jedes Mal Magentabletten nehmen, wenn ich bei euch zum Weihnachtsessen war.»
Mama starrte Tante Traudl an: «Aber warum hast du denn nie etwas gesagt?»
«Ich wollte euch nicht enttäuschen, ich weiß ja, wie wichtig euch das Fest ist mit Gans und allem Drum und Dran.»
Papa verschluckte sich an einem Stück Gänsehaut und hustete.
«Wenn wir das gewusst hätten», sagte Mama.
«Wir mögen Gans nämlich auch nicht», nuschelte Luzie mit vollem Mund.
«Aber warum habt ihr denn dann jedes Jahr eine gemacht?», fragte Tante Traudl erstaunt.
«Weil du immer erzählt hast, wie schön es früher bei euch zu Hause war mit Gänsebraten und Tannenbaum und …» Mama brach ab. Tante Traudl verdrehte die Augen und seufzte: «Ja, früher … früher, da waren die Gänse auch noch nicht so fett und mein Magen nicht so empfindlich.»
Sie zerteilte einen Knödel in winzig kleine Stückchen und pickte sie auf. «Aber die Knödel sind wirklich gut, so locker und leicht.»
«Die sind ja auch aus der Packung», sagte Luzie.
«Und was ist mit unserm Weihnachtsbaum, den magst du doch auch?», fragte ich.
Tante Traudl schaute kurz zum Baum, dann nahm sie eine Gabelspitze voll Grünkohl. «Natürlich, der ist wunderschön. Aber auch ziemlich groß, nicht wahr? Wie wollt ihr den denn wieder aus der Wohnung bekommen?»
«Das wissen wir auch noch nicht», sagte Papa.
Mama fuhr jetzt richtig schweres Geschütz auf. «Unser richtiger Weihnachtsbaum ist längst im Müll, und da haben wir den hier extra für dich aus einer Baumschule geholt, Tante Traudl. Du hattest ja kein richtiges Weihnachten in diesem Jahr.»
«Es tut mir leid, dass ihr euch wegen mir so viele Umstände gemacht habt, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen, mein Kind», sagte Tante Traudl zu Mama. «Frau Putenkötter hat mir ein kleines Bäumchen gebracht.»
Von einer Frau Putenkötter hatte ich noch nie gehört. Mama anscheinend auch nicht.
«Frau Putenkötter?»
«Meine neue Nachbarin. Hab ich dir nicht von ihr erzählt? Eine ganz reizende Person. Immer so hilfsbereit, macht Besorgungen für mich, nimmt meinen Müll mit runter …»
Mama schien über die Hilfsbereitschaft dieser Frau Putenkötter nicht sehr begeistert zu sein.
«Ach ja? Einfach so?»
Tante Traudl knüllte die Serviette zusammen.
«Natürlich einfach so! Es gibt eben noch gute Menschen.»
«Schön zu hören», sagte Papa. «Wie wär’s denn jetzt mit einem kleinen Sherry zum Verdauen?»
«Sherry? Da sag ich nicht nein, das ist ja praktisch Medizin, nicht wahr?»
«… das ist ja praktisch Medizin …», murmelten Luzie und ich im Chor. Mama trat mir unter dem Tisch auf den Fuß.
«Hast du wieder das komische Parfüm für Mama mitgebracht, Tante Traudl?», fragte Luzie.
«Du meinst das Kölnisch Wasser? Nein, nein, mein Kind.» Tante Traudl schüttelte den Kopf. «Frau Putenkötter hat gemeint, das sei nichts für eine junge Frau.»
«Danke, danke, aber so jung bin ich ja nun auch nicht mehr», sagte Mama.
Tante Traudl öffnete ihre große Tasche, die aussah wie aus einem alten Teppich gemacht, und legte vier Päckchen auf den Tisch. Sie waren in Papier eingewickelt, auf dem Happy Xmas stand.
«Du hast ja neues Geschenkpapier!», sagte Mama, und es klang fast enttäuscht.
«Das alte hab ich weggeworfen, man muss ja nicht alles aufheben.» Tante Traudl lachte. «Wenn ich bedenke, dass ich das früher immer aufgebügelt habe … Frau Putenkötter meint, das sei reine Zeitverschwendung.»
Papa packte sein Geschenk aus. «Keine Zigarillos diesmal?»
«Rauchen ist ja so ungesund, nicht wahr? Das sollte man nicht noch unterstützen.»
«Meint Frau Putenkötter?»
«Genau», sagte Tante Traudl.
«Nun, dieser Schlips hier hat jedenfalls ein sehr interessantes Muster …»
Papa hielt ihn sich an den Hals. Auf dem Schlips waren tanzende Weihnachtsmänner zu sehen.
«Drück mal auf einen der Weihnachtsmänner, Martin», sagte Tante Traudl und zwinkerte Papa zu.
«Jingle Bells» ertönte, doch es klang eher wie das Quaken einer Ente.
Tante Traudl klatschte begeistert in die Hände. «Ist das nicht
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