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Wer hustet da im Weihnachtsbaum? (German Edition)

Wer hustet da im Weihnachtsbaum? (German Edition)

Titel: Wer hustet da im Weihnachtsbaum? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwig
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Mamas Stelle hätte Tante Traudl ja einfach gefragt, ob sie die Kommode überhaupt noch braucht. Aber Mama meint, so was gehört sich nicht.
    Wir sehen Tante Traudl nur einmal im Jahr, immer am zweiten Weihnachtsfeiertag, und immer gibt es Gänsebraten, weil Tante Traudl den so mag. Dabei isst sie davon nur ein winziges Stück, und wehe, da ist Haut dran.
    Und ihre Geschenke kann man auch vergessen. Tante Traudl schenkt uns jedes Jahr das Gleiche. Papa bekommt ein Päckchen Zigarillos, dabei raucht er schon lange nicht mehr. Mama eine Flasche Kölnisch Wasser, das Luzie immer als Äther benutzt, um ihre Stofftiere zu betäuben, bevor sie sie am offenen Herzen operiert. Mir schenkt Tante Traudl selbstgestrickte Socken, die viel zu klein sind. Mama passen sie, aber sie trägt sie nur im Bett, weil sie so hässlich sind. Und Luzie kriegt Katzenzungen, die Tante Traudl anscheinend schon zu Ostern kauft, denn die Schokolade ist immer etwas grau.
    «Was haltet ihr davon, wenn wir morgen mit Tante Traudl essen gehen?», sagte Papa, als er sein Portemonnaie rauszog. «Dann kann sie sich ihren Gänsebraten bestellen, und wir essen etwas, das uns schmeckt.»
    Luzie und ich fanden das eine prima Idee. Nur Mama schüttelte den Kopf. «Kommt nicht in Frage!»
    Und damit war die Sache natürlich erledigt. Wenn einer bei uns in der Familie bestimmt, dann Mama.

    Als wir nach Hause kamen, stand Herr Dobelmann im Hausflur und fuhrwerkte mit einer Grillzange in seinem Briefkasten herum.

    «’n Abend», brummte er.
    «Ein schönes Fest, Herr Dobelmann!», sagte Mama extrafreundlich.
    «Von wegen schön! Irgendjemand hat ein Streichholz in das Schloss von meinem Briefkasten gesteckt, und jetzt passt der Schlüssel nicht mehr.»
    «Und Sie kommen nicht an Ihre Weihnachtspost, wie traurig», sagte Papa.
    «Weihnachtspost, Blödsinn. Wer sollte mir schreiben? Auf so was kann ich gut verzichten», sagte Herr Dobelmann und sah mich finster an. «Hast du eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte, Junge?»
    «Ich war’s schon mal nicht!»
    «Hab ich ja auch gar nicht behauptet. Aber vielleicht hast du in letzter Zeit hier jemanden gesehen? Jemanden, der nicht ins Haus gehört?»
    Ich schüttelte den Kopf.
    «Wie soll denn ein Fremder in Haus kommen, Herr Dobelmann?», sagte Mama. «Sie schließen ja immer alles doppelt und dreifach ab.»
    Herr Dobelmann brummelte: «Ich hab da aber was gehört …», und zerrte schließlich einen Umschlag aus seinem Briefkasten.
    «Na, sehen Sie, Sie bekommen ja doch Weihnachtspost», sagte Mama und ging die Treppe hoch.
    «Ja, vom Finanzamt.»
    Als wir vor unserer Tür ankamen und Papa aufschloss, hielt Mama ihn am Arm fest. «Hörst du das, Martin?»
    «Klingt wie ein Radio.»
    «Klasse gehalten, stark gespielt, ein Traumpass», quäkte es aus Frau Molls Wohnung.
    Mama legte das Ohr auf die Tür. Dann sah sie mich an. «Hast du das Radio angelassen, Hannes?»
    Mir wurde ganz heiß. «Nein, den Fernseher, ich …»
    «Ich denke, den solltest du ausstellen?», sagte Mama.
    «Ja, aber heute Morgen hab ich ihn angemacht, weil … weil …»
    «Kann mir schon denken, dass es ziemlich langweilig ist, dreiundneunzig Töpfe zu gießen», kam mir Papa glücklicherweise zu Hilfe.

    «Trotzdem ist es nicht okay, dass du bei fremden Leuten einfach den Fernseher anmachst», sagte Mama und schloss unsere Wohnungstür auf.
    Ich war inzwischen bestimmt rot wie eine Tomate, aber nun hatte ich wenigstens einen Grund, noch einmal zu Bubi rüberzugehen.
    Aber ich stellte nicht den Fernseher ab, sondern meinen Vogel. «Pscht, Bubi. Du musst leise sein», sagte ich zu ihm, als ich die Decke über seinen Käfig legte. «Wenigstens so lange, bis du drüben bei mir bist.»
    Er piepste noch einmal kurz, und es klang wie: «Wann?»
    Aber vielleicht hatte ich mir das ja auch nur eingebildet.

[zur Inhaltsübersicht]
    3. Kapitel
    Wellensittich im Schinkenmantel
    A m Tante-Traudl-Tag waren Papa und Mama in der Küche mit der toten Gans zugange, während Luzie um den Baum herumhüpfte und sang: «O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter.»

    Von wegen grün. Die Nadeln sahen schon ziemlich trocken und verdorrt aus. Das merkte schließlich auch Luzie.
    «Vielleicht war der Baum ja schon tot, bevor man ihn geschlachtet hat», sagte sie.
    Ich tippte mir an die Stirn. «Bäume werden nicht geschlachtet, die werden gefällt.»
    «Aber dann sind sie doch tot?», fragte Luzie. «Oder wachsen sie wieder, wenn man ihnen

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