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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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und öffnete es. Die Studenten liefen an seinem Audi vorbei. Er hatte den Parkplatz am Haus bereits bei seiner ersten Festanstellung bekommen. Sein Vater hatte davon nichts gewusst. Der Professor hatte ihn auch nie in seinem Wagen mitgenommen. Die umgebaute Handautomatik und der weißumrandete Parkplatz mit dem Rollstuhlzeichen hätten den alten Mann in Verlegenheit gebracht. Viel später, als der Vater zu Hause saß und nur noch über den akademischen Betrieb schimpfte, hatte er einmal in einer seiner Tiraden gesagt, wenn man heutzutage etwas werden wolle an der Universität, müsse man Frau, Ausländer oder behindert sein. Der Professor hatte nichts erwidert. Das war nach dem Skandal gewesen. Er war nur gekommen, weil seine Mutter so oft anrief und fragte. Sie hielt es nicht aus mit dem Vater, was sie aber nie zugegeben hätte.
    Ein Auto hielt neben seinem Audi. Es fiel ihm auf, weil dort eigentlich keine Parklücke mehr war. Zwei Männer stiegen aus. Der eine war der Kommissar, der sie am Eröffnungsabend über Rosenbergs Tod informiert hatte. Der andere war älter, klein, mit vollem grauem Haar. Der Professor trat einen Schritt vom Fenster zurück. Er war sich sicher, dass sie zu ihm wollten.
    Nach dem Tod der Mutter war es schwierig geworden. Der Vater ließ niemanden ins Haus und verwahrloste zusehends. Die Schwestern waren weggezogen und wussten immer Gründe, nicht vorbeischauen zu können. Aber er kam. Er räumte auf, kaufte ein und kochte dem Alten ein Essen. Danach setzten sie sich zusammen in die Bibliothek. Der Vater schimpfte, und der Professor schwieg. Und selbst dann noch, nach all der Zeit, brachte es der Vater nicht fertig, seinen Sohn anzuschauen. Mit abgewandtem Gesicht reichte er ihm eine Decke, um sie auf das geschiente Bein zu legen. Einmal, an einem heißen Tag, hatte der Professor die Decke neben sich liegen lassen. Da war der Vater aufgestanden, hatte sich im Badezimmer eingeschlossen und war nicht zu bewegen gewesen, wieder herauszukommen.
    Sein Telefon summte, es war seine Sekretärin.
    »Ja?«
    »Hier ist ein Mann von der Polizei, der möchte Sie sprechen, Professor Waldreich.«
    »Ja. Geben Sie mir fünf Minuten, und schicken Sie ihn dann rein.«
    Der Professor ging zum Schreibtisch und setzte sich. Er rückte einen Schemel sichtbar nach vorn und bettete sein Bein darauf. Ich fahre heute zum Haus, dachte er. Nur über das Wochenende. Dann faltete er seine Hände und konzentrierte sich auf das bevorstehende Gespräch.

H ier wohnste?«
    Kalle, der Techniker, beugte sich über das Lenkrad und starrte ungläubig auf die Fassade aus gerilltem Waschbeton. Emma nickte, öffnete die Wagentür und sprang auf den Bürgersteig.
    »Bin gleich wieder da!«
    Im Flur kam sie an den Briefkästen vorbei. Der Zettel mit E. Vonderwehr, gestern nachlässig von ihr auf ihr Fach geklebt, rollte sich an einer Seite ab. Sie strich darüber und sah die Spitze eines Briefumschlages hinter der Klappe. Sie zog ihn heraus, warf einen Blick auf den Absender und lächelte.
    In dem kleinen stickigen Fahrstuhl drückte sie auf die Zwölf. Die Glastür schob sich vor die Öffnung und gab die Sicht auf einen riesigen Penis frei, in die Oberfläche gekratzt. Daneben stand »K. lutscht Schwanz« in schräger Schrift. Emma stellte ihre Tasche zwischen die Beine und schlitzte den Brief auf. Sie zog eine Feder heraus. Sacht strich sie über die schwarz-weiße Maserung. Dann war der Fahrstuhl im zwölften Stock angekommen. Sie nahm die Feder und den Briefumschlag in die linke Hand, hob ihre Tasche hoch und stieß die Glastür mit dem Riesenpenis zur Seite. Schnell ging sie durch den Gang mit den beige-braunen Tapeten und den Resopaltüren bis zu der Nummer 316. Sie holte ihren Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Rechts von ihr nahm sie eine Bewegung wahr, sie drehte den Kopf zur Seite. Auf der Nachbartür war in Kniehöhe ein Poster mit der Werbebanderole einer Apotheke geklebt, es zeigte ein Lämmchen auf einer grünen Wiese. Zwei Kinderaugen zuckten zurück, als Emma in die Richtung schaute, die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken.
    Im Flur kniete sie sich vor den geöffneten Koffer und zerrte eine Unterhose und ein frisches T-Shirt heraus. Schnell zog sie sich um und ließ die schmutzigen Sachen auf dem Boden liegen. Sie ging in das kleine Badezimmer und putzte sich in aller Eile die Zähne. Fast war sie schon wieder draußen, da bemerkte sie das Blinken des Anrufbeantworters. Schneider, dachte Emma, er hat es

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