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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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sich anders überlegt. Sie zögerte, ging dann aber doch die paar Schritte durch das Wohnzimmer und drückte auf die Taste. Helenes Stimme drang durch die fremde Wohnung.
    »Bist du gut angekommen?«
    Jetzt hörte Emma Ida im Hintergrund, sie rief nach der Mutter. »Gleich«, sagte Helene und dann noch in den Hörer, »melde dich und halt die Ohren steif.«
    Emma stand an dem kleinen Couchtisch und wühlte gedankenverloren in einem Haufen an Papieren und Büchern. Helene machte sich Sorgen, das hörte sie. Endlich fand sie die Schachtel mit den Briefumschlägen. Sie zog einen heraus und stopfte das rosa Bonbonpapier aus der Tasche ihrer Jeans hinein. Der Anrufbeantworter piepste, die Nachricht war zu Ende. Mit dem Umschlag in der einen, ihrer Tasche in der anderen Hand ging sie durch die Wohnung und ließ die Tür von außen zufallen. Um wach zu werden, lief sie die Treppen herunter, alle zwölf Stockwerke. Als sie unten die Tür zum Ü-Wagen öffnete, lächelte sie Kalle entgegen.

D ie Trucks der Fernsehanstalten erschwerten den Weg zum Eingang. Die Mitarbeiter der Pressestelle versuchten die Fragen der Journalisten zu beantworten. Emma sah im Gedränge die Frau von dpa, heute trug sie ein dezentes dunkelblaues Kleid. Ein Haustechniker schloss eine zweite Split-Box an. In letzter Minute musste er ein Mikrofon austauschen, der Schweiß rann ihm von der Stirn.
    Emma entdeckte die Referentin in einer Ecke der Kaffeebar, sie rührte langsam in ihrer Tasse und schien von dem Trubel um sie herum kaum etwas mitzubekommen. Sie hatte wieder ihr dunkelgraues Kostüm an, diesmal mit einer schwarzen Bluse darunter. Emma zog ihren Notizblock aus der Tasche und zwängte sich durch die Leute zu ihr durch. Etwas atemlos stand sie vor ihr.
    »Entschuldigen Sie, ich bin Emma Vonderwehr von BerlinDirekt, wir haben gestern kurz miteinander gesprochen. Leider weiß ich Ihren Namen nicht.«
    »Anne Friedrich«, sagte die Frau und schaute nun interessiert auf Emma. Sie stellte ihre Tasse auf den Kaffeetisch und reichte Emma die Hand.
    »Sie haben uns ja heute Morgen schon ganz schön zu schaffen gemacht …«
    Emma nahm die Hand und schüttelte sie. Sie wusste nicht, ob das als Kompliment oder Vorwurf gemeint war.
    »Frau Friedrich, kannten Sie Herrn Rosenberg? Sie wirkten gestern so traurig …?«
    Die Referentin zog schnell ihre Hand zurück, ihr Lächeln verschwand.
    »Eigentlich doch eine ganz normale Reaktion auf den Tod, oder? Aber hier …«
    Sie schluckte, nahm wieder ihre Kaffeetasse in die Hand.
    »Ich hab ihn erst vor fünf Tagen kennen gelernt, als er ankam. Ich war natürlich neugierig auf ihn. Man hat ja so einiges gehört.«
    »Was denn?«
    Sie schaute hoch, sah Emma an.
    »Schwierig sollte er sein. Ungeduldig, ruppig. Das war er dann ja auch.«
    Sie lachte leise und hörte sofort wieder auf, erschrocken über ihre Heiterkeit an diesem Ort. Sie griff ihre Tasse fester und machte Anstalten zu gehen. Eine Wand von Leuten hielt sie auf. Schnell sagte Emma:
    »Er kannte sich aus unter den deutschen Wissenschaftlern, oder? Sprach er auch deutsch?«
    Anne Friedrich sah sie müde an. Emma bemerkte erst jetzt, wie jung sie war, vielleicht Mitte zwanzig. Die dicke Schicht Schminke und das biedere Kostüm ließen sie älter aussehen.
    »Seine Großeltern kamen aus Deutschland, hier aus Berlin. Sie mussten vor den Nazis fliehen. Seine Großmutter hat deutsch mit ihm gesprochen, aber da ist nicht viel hängengeblieben. Ein paar Brocken, sonst nichts.«
    Ein Journalist drängte sich zwischen sie, seine Kamera baumelte an seinem Hals und traf Anne Friedrich an der Schulter. Sie zuckte schmerzerfüllt zusammen und hielt reflexartig ihre Kaffeetasse vom Stoff ihres Kostüms weg. Der Mann drängte sich weiter durch, er schien nichts bemerkt zu haben. Die Referentin stellte die Tasse ab und rieb sich die Schulter. »Ich glaube, er wollte mehr über seine Großeltern herausfinden. Sein Großvater ist auf der Flucht gestorben, da war sein Vater noch ein Baby. Das hat er mir auf der Stadtrundfahrt erzählt, am Holocaust-Mahnmal. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Oh, wirklich, klingt so dumm, nicht wahr?«
    »Haben Sie viel mit ihm unternommen?«
    Die junge Frau schüttelte den Kopf. Das Haar, mit Spray in Beton gegossen, bewegte sich dazu als kompakte Masse.
    »Ich war natürlich nicht zuständig für ihn. Für die Betreuung der neuen Professoren steht immer ein Mitglied des Stiftungsrats zur Verfügung. Ich muss jetzt aber wirklich

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