Wer im Trueben fischt
war sie zu weit entfernt, um etwas verstehen zu können. Sie zögerte, warf einen Blick zurück. Niemand würde reden, solange er seine Kollegen im Rücken wusste. Vielleicht konnte sie einen allein erwischen?
Die schwere Brandschutztür sprang auf, als wäre sie aus Pappe. Der Blonde im Blaumann trug eine kleine Plastikschüssel in der Hand und verschwand damit um die Ecke des Hauses. Emma lehnte ihr Fahrrad an die Wand und folgte ihm. Vor einer Holzstellwand, die einen Teil des hinteren Gebäudes vor Blicken schützte, blieb sie stehen. Sie hörte gurrende Geräusche, ein leises Lachen. Emma trat hinter die Stellwand.
Der Mann kniete vor einer Katze, die ihren Kopf tief über die Plastikschüssel gesenkt hatte. Ihr Fell war stumpf, stellenweise war sie kahl. Durch Emmas Erscheinen gestört, wich sie zurück, und Emma sah, dass sie nur drei Beine hatte. Das vordere linke Bein endete am ersten Gelenk als vernarbter Stumpf.
Der Mann richtete sich auf. Er fixierte Emma mit wütenden Blicken und ging an ihr vorbei zurück zum Vordereingang. Bei der Katze siegte der Hunger über die Scheu. Sie hinkte wieder zum Napf zurück und begann erneut zu fressen. Emma drehte sich zu dem Mann um.
»Warten Sie doch bitte!«
Der Mann blieb stehen. Sie ging langsam auf ihn zu. Er fixierte sie. Es war, als versuchte er in Emma zu lesen.
»Was wollen Sie hier?«
Emma holte Luft. Sie tastete nach ihrer Tasche.
»Ich will wissen, ob Ihr Chef etwas mit dem Mordfall an Tom Rosenberg zu tun hat.«
Der Mann trat näher an sie heran.
»Das ist scheiße. Sie sind sich sicher, dass er was damit zu tun hat, und wollen mal gucken, wie es hier in der Mörderfirma aussieht, oder?«
Unwillkürlich wollte Emma zurückweichen, aber sie blieb stehen. Der Mann langte über ihren Brustkorb hinweg nach ihrer Tasche. Sie griff danach und hielt sie fest. Er fasste unten an den Lederboden und drehte sie um. Papier flatterte zu Boden, ihr Portemonnaie, Stifte. Ihr Aufnahmegerät. Das Mikro. Emma widerstand dem Impuls, sich hinzuhocken und alles wieder einzusammeln. Sie reckte das Kinn und sah dem Mann in die Augen.
»Dann erzählen Sie mir Ihre Version.«
Der Mann schnaubte durch die Nase.
»Das interessiert Sie doch gar nicht. Wenn sich mal jemand echt um Deutschland sorgt, wenn jemand …«
»Wie weit geht denn diese Sorge? So weit, dass er Parolen sprühen lässt? An die Hauswand eines Juden, der kurz danach umgebracht wird?«
Der Rücken des Mannes versteifte sich. Hinter ihnen brummte plötzlich der Gabelstapler los. Emma fuhr herum. Die drei Männer waren näher gekommen. Zwei standen an der Seite und beobachteten sie. Der dritte saß auf dem Gabelstapler. Schwer stützte er sich auf das Lenkrad. Eine Bewegung ließ sie wieder nach vorn schauen. Der Blonde im Blaumann hatte sich hingehockt und den Windschutz ihres Mikrofons in die Hand genommen. Er besah sich das aufgedruckte Logo ihres Radiosenders. Jetzt ging sie auch in die Knie und stopfte die Sachen zurück in ihre Tasche. Sie zögerte, aber dann versuchte sie, ihm den Windschutz aus der Hand zu nehmen. Er ließ nicht los. Sie biss sich auf die Lippen. Hinter sich hörte sie den Gabelstapler näher kommen. Der Mann neben ihr sagte etwas. Obwohl sie so nah nebeneinanderhockten, konnte sie ihn wegen des Lärms der Maschine kaum verstehen.
»… übernimmt Verantwortung. Für den Betrieb hier. Für Deutschland. Für uns.«
Der Mann stand auf. Emma auch. Sie warf einen schnellen Blick nach hinten, der Mann im Gabelstapler beobachtete sie mit einem Grinsen im Gesicht. Die Männer an der Seite verzogen noch immer keine Miene. Sie holte tief Luft und machte ein paar Schritte auf ihr Fahrrad zu. Sie griff nach der Lenkstange und versuchte, es an dem Mann vorbei zum Ausgang zu schieben.
»Ich werde jetzt gehen.«
Der Mann vor ihr nickte bedächtig. Noch einmal strich er über den weichen Stoff des Windschutzes. Dann reichte er ihn Emma. Sie nahm ihn und steckte ihn in die Tasche. Der Motor des Gabelstaplers dröhnte. Dann spürte sie, wie ihr Fahrrad gegen sie fiel. Sie stöhnte, der Lenker bohrte sich schmerzhaft in ihre Hüfte. Es wurde still. Der Gabelstaplerfahrer war zurückgesetzt, hatte den Motor ausgestellt und beugte sich jetzt aus dem Führerhäuschen.
»Oh, hab ich Ihr Fahrrad erwischt. Tut mir leid! Aber Sie dürfen hier damit auch gar nicht auf den Hof, wissen Sie!«
Emma klammerte sich an ihr Rad. Die Haut an ihrer Hüfte brannte. Sie presste ihre Tasche eng an den
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