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Wer im Trueben fischt

Wer im Trueben fischt

Titel: Wer im Trueben fischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Lanfermann
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Oberkörper, nahm den Lenker und wollte weitergehen. Der Mann im Blaumann hielt ihre Lenkstange fest. Emma bekam Angst. Sie zwang sich, ihn anzuschauen. Er lächelte.
    »Verantwortung. Das setzt man nicht einfach aufs Spiel.«
    Ganz langsam schob sie ihr Rad weiter. Der Mann ließ die Lenkstange los. Die Felge vom Hinterreifen war an einer Stelle gebrochen, da, wo der Gabelstapler hineingefahren war.
    Jetzt war sie fast am Ausgang. Im Rücken hörte sie die Männer murmeln. Ihre Augen brannten. Der Blaumann rief ihr hinterher.
    »Suchen Sie Ihren Mörder woanders!«
    An der Straße ging sie weiter, ohne zu sehen, wohin. Ihr ganzer Körper zitterte.
    Drei Stunden später saß sie beim Asiaten und schaufelte Nudeln in sich hinein. Es war früher Abend, noch war wenig los. Sie hatte für den Rückweg lange gebraucht. Hatte mit ihrem kaputten Fahrrad an der Haltestelle auf die Straßenbahn gewartet, die Autos brausten auf der sechsspurigen Straße an ihr vorbei. Sie wusste nicht, ob und wann hier eine Bahn fuhr, die Pläne waren mit Graffiti übersprüht. Kein Mensch war zu sehen. Sie fror in ihren verschwitzten Sachen. Sie saß einfach da und schluckte an ihrem Kloß im Hals.
    Der Junge brachte ihr jetzt den dritten Teller. Emma schluckte. Alles sollte runter. Die Tränen. Die Bilder. Der Junge mit dem Irokesen stand hinter dem Tresen und beobachtete sie. Sie schob sich die Nudeln in den Mund.
    Sie hatte sich idiotisch benommen. War einfach losgerannt wie eine Anfängerin. Sie war übereifrig gewesen und hatte sich kindisch verhalten, und dann hatte sie Angst bekommen.
    Emma schaffte es, fünf Nudeln auf einmal auf die Gabel zu häufen.
    Morgen saß der Rundfunkrat zusammen und entschied, ob sie noch weiterarbeiten durfte. Zu Schneider hatte sie gesagt, sie wäre schuld an Jennis Tod. Aber war sie das wirklich? War ein Schneeballwerfer schuld an der Lawine?
    Der Teller war leer. Emma rülpste. Ihr war schlecht, und die Haut an der Hüfte brannte. Der Junge brachte ihr einen Schnaps. Er stellte ihn vor sie hin und ging wieder. Ihr fiel auf, dass er heute seine Augen geschminkt hatte. Es war Freitagabend.
    Sie kippte den Schnaps runter. Er schmeckte scharf und süßlich. Reisschnaps. Sie bestellte noch einen.
    Viel später verließ sie auf wackligen Füßen den Imbiss. Die frische Luft draußen traf sie wie ein Schlag. Sie brauchte eine halbe Stunde, bis sie über die Straße und zu ihrer Wohnung kam. Sie legte sich vorsichtig in ihr Bett und konzentrierte sich darauf, sich nicht zu übergeben. Darüber schlief sie ein.

A m nächsten Morgen regnete es. Der Wind wehte ihr die Tropfen senkrecht ins Gesicht. Ihr war übel, obwohl sie über zehn Stunden geschlafen hatte.
    Sie war mit der Bahn hier rausgefahren. Unterwegs hatte sie sich aus einer liegengelassenen Bildzeitung einen Hut gefaltet, wie sie ihn für Ida gemacht hatte, vor ein paar Jahren, als ihre kleine Schwester fand, sie sei zu alt für rosa Schmetterlinge an den Wänden. Sie wollte Wolken, einen Himmel zum Fliegen in der Nacht. Helene hatte ein Foto von ihnen beiden gemacht, mit dem Hut und in alten Jeans, das Gesicht voll blauer Farbe. Es hing in der Küche am Kühlschrank.
    Der Bildzeitungshut saß aufgeweicht auf ihrem Kopf und lenkte das Regenwasser zielgenau in ihren Nacken. Emma lief jetzt schon eine halbe Stunde hier herum. Das Zehlendorfer Wohngebiet glich tausenden seiner Art im ganzen Land. Einfamilienhäuser, nach dem Krieg hochgezogen, hier im teuren Westen von Berlin vielleicht etwas größer, aber kaum origineller gebaut. Spitzdach, Fenster in Gitter eingeteilt, hohe Hecken davor. Hin und wieder fielen Details aus der Reihe, Carports, Glasveranden und ausgebaute Dächer.
    Emma blieb stehen und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Sie hatte nicht gewusst, dass man auch so in Berlin leben konnte, abseits der großen Hochhäuser und Straßenzüge. Was würde Caro Rosenberg von der Gegend halten, könnte er das sehen? Von seinen Plänen war nichts übrig geblieben. Statt eleganter Stadtvillen im Bauhausstil, statt Drehbühne, Außentreppen und Glasfronten in Reihe gebaute Standardhäuser. Emma seufzte. Vielleicht hätte er es verstanden. Die Sehnsucht, so schnell wie möglich wieder feste, trockene Wände um sich zu haben. Die kleinen Fenster, die die Welt da draußen ausschlossen. Vielleicht hätte er selber anders gebaut, nach dem Krieg.
    Sie kramte den Zettel von Schneider aus ihrer Hosentasche und wählte mit ihrem Handy die Nummer, die der

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