Wer im Trueben fischt
Jeder griff nach den Taschen und Kisten. Eilig verließen sie den Raum.
Die beiden Männer standen an dem grün bespannten Tisch eng nebeneinander. Alexander Bohmann redete. Meyer-Latour spielte mit dem Queue. Nach einer Weile verlor er seinen Festtagsblick und hörte mit ernstem Gesicht zu. Mehrmals nickte er langsam mit dem Kopf. Als Bohmann schwieg, legte er den Stock zurück auf den Tisch und verschränkte die Arme. Dann sagte er etwas. Bohmanns Züge entspannten sich, er atmete aus und lächelte. Als beide den Raum verließen, legte der Verleger wieder seinen Arm um die Schultern des Freundes.
Ü ber ihrem Bett hing ein rosa Clown aus Plastik an drei Luftballons. Die Bettdecke war lila-grün gestreift, ihr Nachthemd zitronengelb. Krankenhausfarben, dachte Emma. Penelope schlief. Sie lag auf der Seite, das Haar verdeckte ihre Wange. Die Hand mit der Kanüle zum Tropf hing herunter. Emma legte sie wieder auf die Decke. Das Kind rührte sich nicht. Die Tür ging auf.
»Hallo, du bist, äh, Sie sind bestimmt …«
»Emma.«
Emma ging auf die Frau zu, die an der Tür stehen geblieben war. Sie war jung und hatte schöne dunkle Haare. Sie roch nach Rauch und nassem Laub. Ihre Augen waren so blau wie der Kajal darunter.
»Melanie.«
Die beiden Frauen standen voreinander und musterten sich. Dann ging Melanie zum Bett. Sie machte dabei einen kleinen Bogen um Emma.
»Süße, wach mal auf, hier ist die Nachbarin.«
»Lass doch, ich …«
»Nee, nee, sie soll sowieso nicht so viel schlafen. Echt.«
Melanie rüttelte an Penelopes Arm. Emma musste sich beherrschen, um nicht ihre Hand wegzuschlagen. Das Kind öffnete die Augen. Sie wirkte benommen.
»Mama?«
»Alles gut, Schatz. Die Nachbarin ist gekommen, jetzt kannst du mal danke sagen.«
»Ist doch schon gut.«
»Emma?«
Sie ging auf die andere Seite des Bettes. Wagte nicht, das Kind zu berühren.
»Wie geht es dir?«
»Sie darf nicht so viel sprechen«, sagte Melanie. »Die haben ihr mit dem Schlauch den Hals aufgekratzt. Die Ärzte hier.«
Emma antwortete nicht. Sie schaute weiter auf Penelope. Das Mädchen drehte sich langsam zu ihrer Mutter. Leise fragte sie:
»Wie lang bin ich jetzt hier?«
Melanie biss sich auf die Lippe.
»Na, seit gestern doch.«
Jetzt schaute Penelope wieder zu Emma. Sie grinste.
»Und noch gar nichts gegessen. Ich nehm bestimmt ab.«
»Na klar.«
Emma hatte einen Kloß im Hals und konnte nur flüstern.
Auf dem Nachttisch lagen die Bunte und eine Schachtel Pralinen. Melanie folgte Emmas Blick und zuckte mit den Schultern.
»Hat ja heute alles zu.«
Emma stand da und wusste nicht, was sie tun sollte. Penelope schien schon wieder abzutauchen. Am liebsten hätte sie sich hingesetzt und ihren Schlaf bewacht.
Melanie räusperte sich.
»Ich würde gern kurz mit dir reden.«
Emma schaute hoch. Die junge Frau sah sie an. Ihr kajalblaues Augenlid zuckte.
»Draußen.«
Emma nickte und warf noch einen Blick auf Penelope. Sie hatte die Augen geschlossen. Ihr Gesicht war grau wie auf einem Schwarz-Weiß-Foto.
Auf dem Krankenhausgelände gingen sie schweigend nebeneinander auf dem Kiesweg. Die Männer hoben den Blick und inhalierten tief den Rauch ihrer Zigaretten, als Melanie an ihnen vorbeiging. Sie standen in ihren Bademänteln im Eingangsbereich der Klinik. Über ihnen hing ein Schild »Bitte nicht im Eingangsbereich rauchen«. Melanie tat so, als sähe sie die Männer nicht, aber ihr Schritt wurde eine Spur wiegender. Sie bot Emma eine Zigarette an. Emma schüttelte den Kopf. Melanie steckte sich eine an und verstaute die Schachtel wieder in ihrer engen Jeanstasche.
»Ich wollte dich fragen, ob du, also, weil Penelopp ja so bei dir eingestiegen ist, ob du vorhast, das zu melden.«
Sie sprach den Namen spanisch aus und blies dann den Rauch der Zigarette rücksichtsvoll zur anderen Seite. Emma starrte auf die nassen Kastanienblätter vor ihr.
»Was ist denn eigentlich passiert?«
»Sie hat was von mir geschluckt. Dachte, das sind ihre dämlichen Vitamintabletten.«
Melanie fasste ihr langes Haar und strich es über ihre rechte Schulter nach vorn. Als sie die Arme hob, roch Emma Maiglöckchenduft.
»Ich hatte es echt gut versteckt. Hab ich denen hier auch gesagt. Aber die findet ja alles.«
»Sie hat mein Schloss geknackt?«
Emma musste lächeln, als ihr einfiel, wie das Mädchen zum ersten Mal in ihrer Wohnung gestanden und behauptet hatte, ihre Tür wäre offen gewesen. So ein Schlitzohr, dachte sie und fühlte, wie
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