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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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ich an diesen Küstennebel nur denke, fühle ich mich wie ausgekotzt.
    »Geht’s besser, Schatz?« Luisa lächelt, als sie vom Büfett an unseren Frühstückstisch zurückkommt. Ihre zwei Teller sind bis an den Rand mit Rührei, Speck, Salami und Semmeln gefüllt.
    »Wer soll das alles essen?«
    Luisa guckt mich böse an. Weil jeder, der Luisa kennt, die Antwort darauf weiß. Ich kenne Luisa eigentlich nur essend. Morgens, mittags, abends, die Zwischenmahlzeiten nicht zu vergessen. Wahrscheinlich liegt das an ihren italienischen Wurzeln. Ich hoffe nur, dass sie im Alter nicht aufgeht wie eine Dampfnudel. Aber erstens ist Luisa schlank, ich glaube, sie hat Kleidergröße sechsunddreißig, und zweitens könnte auch ihre Mutter mit ihren fünfundfünfzig Jahren immer noch als Model arbeiten. Mit Anfang zwanzig war sie auf dem Cover der italienischen Vogue. Man sagt, man müsse sich nur die Mutter anschauen, um zu wissen, wie die Tochter einmal aussieht. Signora Conte ist eine sehr attraktive Frau. Als Schönheitschirurg könnte ich bei ihr nichts verbessern. Ich habe sie zwar erst zwei- oder dreimal gesehen, aber was ich sah, hatte echt Klasse. Besonders mochte ich ihre dunkelgrünen Augen. Luisa hat die gleichen Augen. In ihnen spiegeln sich Lebendigkeit, Leidenschaft und Temperament. In den Augen von Luisas Vater spiegelte sich nichts, höchstens Kälte. Sein Händedruck, ich erinnere mich genau, war fest. Wie ein Schraubstock. Seine wieselflinken Pupillen taxierten mich lange. Sie sagten: Pass auf, Bürschchen. Noch gehört sie mir.
    Luisa liebt ihren Papa abgöttisch. Sie ist noch immer sein kleines Mädchen, und er noch immer ihr größter Held. Ich möchte auch überhaupt nicht in Konkurrenz zu ihm treten oder ihm etwas wegnehmen, aber über ein nettes Wort hätte ich mich schon gefreut. Als mich Luisa ihren Eltern vorstellte, nachdem wir schon über ein Jahr zusammen waren, hatte ich das Gefühl, der Signore wollte nicht sein blutiges Filet auffressen, sondern mich. Einen kurzen Moment bekam ich es sogar mit der Angst zu tun, als er mir in dem Zwei-Sterne-Tempel am Tegernsee auf die Toilette folgte, sie von innen verriegelte und mich einem peinlichen Verhör unterzog. Er wollte wissen, wer ich sei, womit ich mein Geld verdiente, was meine Eltern so machten, ob ich Drogen nähme und noch andere Frauen träfe, und warum ich nicht meine dreckigen Finger von Luisa ließe.
    Erst wusste ich nicht, was ich antworten soll. Dann sagte ich, dass ich meine schmutzigen Hände nicht nur zehnmal täglich wasche, sondern sogar desinfiziere, weil das mein Job mit sich brächte: »Ich glaube kaum, dass Sie jemanden in München finden, der sauberere Hände hat.« Außerdem möge er doch bitte seine Hände von meinem Jackett nehmen.
    Herr Conte ließ von mir ab, strich mit seiner Hand über die Stelle auf dem Jackett, wo er mich eben noch gepackt hatte, und lächelte. »Seien Sie vorsichtig«, gab er mir einen Rat, bevor er die Toilette wieder freigab. Seien Sie vorsichtig , dröhnt es seit jenem Abend, wenn ich an Luisas Familie denke, in meinen Ohren. Ich habe Luisa nie von dieser Begegnung auf der Herrentoilette erzählt. Vielleicht hat sie mir aber den Schreck angesehen, als ich wieder zurück an den Tisch kam. Im Spiegel jedenfalls sah ich ziemlich blass aus.
    »Seien Sie vorsichtig«, flüstere ich vor mich hin.
    »Was meinst du?« Luisa lässt eine Gabel mit Rührei in ihrem Mund verschwinden.
    »Nichts«, sage ich und winke ab.
    »Du hast doch was.«
    »Nein, nein, echt nicht. Ich musste nur gerade an was denken.«
    »An was?«
    »An dich.«
    »Lügner.«
    Nach dem Frühstück satteln wir die Drahtesel, die Herr Laack freundlicherweise für uns reserviert hat. Fasziniert stehe ich vor meinem und betrachte Gangschaltung und Bremsen. Nur vom Feinsten. Ich persönlich würde ja nie so viel Geld in ein Rad investieren. Abgesehen davon, dass ich in der Stadt nicht radle. Ist mir zu gefährlich.
    »Stimmt was nicht?« Luisa merkt aber auch alles.
    »Doch, schon.«
    »Aber?«
    »Ich frage mich, wieso ich hier ein Mountainbike mit achtundzwanzig Gängen brauche. Korrigiere mich, wenn ich mich irre, aber ich sehe weit und breit keine Berge.«
    »Du magst doch eh keine Berge«, stellt Luisa korrekterweise fest und schwingt sich im nächsten Moment elegant auf den Sattel. »Auf geht’s«, ruft sie vergnügt und lässt Worten Taten folgen.
    Ich werfe noch einen raschen Kontrollblick in meinen Rucksack. Nicht, dass ich das Wichtigste

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