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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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Luisa über ihren Vater redet, dann meist im Zusammenhang mit ihrer Trauung. Er soll sie zum Altar führen, so sei es Sitte in Italien, wo Luisa herkommt. Geboren ist sie in Rom, aber aufgewachsen in Deutschland. Und natürlich katholisch – jedenfalls an den Feiertagen.
    Ich streife die Asche meiner Zigarre am gläsernen Aschenbecher ab. Jetzt bloß nicht nostalgisch werden, Mark, zusammenreißen. Aber wenn ich an Feiertage denke, denke ich natürlich zuerst an Weihnachten. An Heiligabend haben sich früher sogar meine Eltern vertragen. Jedenfalls vor mir. Der vierundzwanzigste Dezember war der einzige Tag des Jahres, an dem sie sich kein »Arschloch« oder »Blöde Kuh« an den Kopf warfen. Während mein Vater kochte, meine Mutter den Punsch aufsetzte und meine Oma das Weihnachtsprogramm im Fernsehen verfolgte, ging ich mit dem Opa im Wald spazieren. Mein Opa war der einzige Mensch, der sich wirklich für mich und meine Probleme interessierte. Ehrlicherweise muss man sagen, dass ein Achtjähriger noch keine wirklich großen Probleme hat. Frauen spielen in so jungen Jahren kaum eine Rolle. Meine erste Freundin hatte ich mit dreizehn. Nach zwei Monaten musste ich aber leider Schluss machen, weil ich mich eingeengt fühlte.
    Ich nehme noch einen letzten Zug, lege dann die nicht einmal zur Hälfte gerauchte Zigarre in den Aschenbecher und stehe auf. Ich öffne die Balkontür und versuche, möglichst leise das Hotelzimmer Richtung Bad zu durchqueren, weshalb ich meine Schuhe ausziehe. Natürlich rumple ich gegen eine Kommode, ein Gegenstand, den ich in der Dunkelheit nicht erkennen kann, fällt auf den Boden und zerbricht. »Verdammt«, fluche ich und ärgere mich noch im selben Augenblick darüber. Spätestens jetzt ist Luisa wach. Also kann ich auch gleich das Licht anmachen und mir ihre Klagen anhören. Bevor ich den Schalter erreiche, trete ich in eine Scherbe. »Aua!« Endlich Licht. Mein Blick fällt auf den zerbrochenen Krug, dann auf die Wunde am Fuß, dann auf das leere Bett. »Luisa?«
    In diesem Moment klingelt mein Handy. Ohne aufs Display zu schauen, klappe ich es auf. »Schatz«, sage ich erleichtert. »Wo steckst du?«
    »Keine Ahnung«, antwortet Barnie. »Aber ich stecke wirklich knietief in der Scheiße.«
    Während Barnie spricht, suche ich das Zimmer nach Luisa ab. Aber sie ist weder im noch unterm Bett, auch nicht im Bad. Mein Herz rast, Schreckensszenarien geistern durch meinen Kopf. Was soll ich tun? Die Polizei rufen? Oder erst den Nachtportier fragen, ob er zufällig meine Freundin gesehen hat?
    »Bist du noch dran?«, höre ich Barnies Stimme.
    Ich murmle etwas, das sich wie ein »Ja« angehört haben dürfte.
    »Und?«
    »Und was?«, frage ich, während ich auch noch vorsichtshalber einen Blick in den Schrank werfe.
    »Was soll ich tun?«
    »Was soll ich tun?«
    »Du? Wieso du?« Barnie klingt verwirrt.
    »Weil Luisa verschwunden ist.«
    »Wohin?«
    »Das möchte ich auch gern wissen.«
    »Vielleicht ist sie auf dem Klo.«
    »Nein, ist sie nicht.«
    Mein bester Freund seufzt. »Verstehe. Du hast gerade genug eigene Probleme.«
    »Ausnahmsweise hast du recht.«
    »Und jetzt?«
    »Musst du dich an deinem eigenen Schopf aus der Scheiße ziehen«, schlage ich vor, lege auf und wähle Luisas Nummer. Im nächsten Moment ertönt der Klingelton ihres Handys. Kommt direkt aus ihrer Handtasche. Mein erster Gedanke ist: Sie hat mich verlassen, ist einfach weg, auf und davon. Vielleicht nimmt sie den erstbesten Flieger nach Hause, um dann gleich ihre Sachen aus unserer Wohnung zu schaffen. Nur weil ich ein Idiot bin. Ein Idiot, der nur die Risiken sieht.
    Ich stürme ins Foyer. Die anderen Gäste sehen mich mit einem mitleidigen Lächeln an, manche schütteln ihre Häupter, einige zeigen mit ihren manikürten Fingern auf mich. Ich habe keine Zeit für Erklärungen, rufe nur »Notfall«. Und: »Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt.« Der Portier sieht mich kommen, fixiert mich, legt den Hörer beiseite und fragt, als ich beide Handys vor ihm aufs Tropenholz lege, was ich wolle.
    »Ich vermisse meine Frau«, sage ich und versuche, den Anflug von Panik zu unterdrücken.
    »Sehr wohl«, meint der Portier verschlagen und beendet sein Telefonat mit einem knappen »Ich rufe zurück«.
    »Polizei«, verlange ich.
    »Sie sind Gast?«
    »Selbstverständlich.«
    »Ihre Frau auch?«
    »Sie ist eigentlich gar nicht meine Frau, sondern meine …«
    »Geliebte?«
    »Freundin. Wir wollen heiraten.«
    »Weiß das Ihre

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