Wer ist Martha? (German Edition)
die am Nebentisch leere Kaffeetassen auf ein Tablett stellte, erinnerte Lewadski an einen seiner Vorsätze von heuteMorgen. Als die Kellnerin ihm die Rechnung brachte, klopfte ihr Lewadski mit zittriger Hand auf die Hüfte. »Eine Biene«, entschuldigte er sich, zahlte und ging.
Vor dem Denkmal der Orangenen Revolution stand ein Taxi. Lewadski stieg ein. »Zur Allee des Sieges bitte. Nummer fünf.« Der Taxifahrer spuckte seinen Zigarettenstummel aus dem Fenster und fuhr los. »Wissen Sie«, sagte Lewadski, seine Einkaufstaschen und den Anzugkoffer an die Rippen pressend, »ich verstehe nicht, was das soll mit dem Denkmal der Orangenen Revolution. Es gab so einen Medienrummel letztes Jahr bei der Einweihung. Ein Podest ist da, aber wo ist das Denkmal?«
»Moderne Kunst«, antwortete der Taxifahrer und schaltete das Radio ein, in dem ein Männerchor das letzte Wort eines Liedes verhallen ließ. Dem Taxifahrer war es wohl peinlich, mit einem zahnlosen Greis reden zu müssen, dabei war er selbst weit über sechzig. Oder er verstand etwas von moderner Kunst und fand die Idee eines unsichtbaren Denkmals hoch spannend.
»Kalter Kaffee wie alles auf dieser Welt«, winkte Lewadski ab, »diese Art von Provokation gibt es alle zehn Jahre. Immer dasselbe. Hätte man ein Bäumchen auf dem Podest gepflanzt, als Symbol der Hoffnung, sagen wir mal, wäre das Denkmal viel aussagekräftiger.«
Das Taxi raste auf die Allee des Sieges zu. »Nummer fünf«, schrie Lewadski in den Rückspiegel, »habe ich das schon gesagt?« Der Taxifahrer drehte sein Radio etwas leiser.
»Haben Sie etwas gesagt?«
»Nummer fünf«, wiederholte Lewadski und lüftete, um an seine Geldbörse zu kommen, mit einem Ächzen den Hintern.
Im Stockgeschäft wurde Lewadski eine Kollektion hochwertiger Spazierstöcke in unterschiedlichen Materialien vorgeführt. Mehrere Modelle in 925er Sterling-Silber und einige wenige in Silver Plated waren darunter. Er bewunderte die zeitlose Eleganz von Derby-Stöcken, begutachtete mehrere Stockgriffe in Form extravaganter Tierköpfe, wunderte sich über Faltstöcke mit weichen Kunststoffgriffen und entschied sich schließlich für einen schwarzpolierten Trinkstock mit einem Adlerrachen-Griff in Sterling-Silber und einem eingebauten Glasrohr für Flüssigkeiten seiner Wahl. Lewadski war begeistert. Welcher Krebs, verdammt noch mal, der Krebs kann sich selbst krebsen! Als er aus dem Laden auf die Straße trat, beschrieb er, anstatt aus vollem Hals zu lachen, mit seinem Trinkstock einen übermütigen Halbmond.
In der Nacht träumte Lewadski von zwei streitenden Kernbeißermännchen. Das eine rief scharf »zicks«, das andere klirrend »zieh«. Beide standen vor einem Haufen halbreifer Erbsen im Gemüsegarten von Lewadskis Mutter. »Gaut ab!«, rief Lewadski aus dem Fenster seines Kinderzimmers und drohte den Vögeln mit einer Gießkanne. Die Vögel stritten sich weiter, Federn flogen durch die Luft, aber der Erbsenhaufen blieb unberührt. »Gaut ab, ihr Hauner!«, rief Lewadski. Die Vögel hörten nicht auf ihn. Er ließ seine Gießkanne fallen und flatterte zum Fenster hinaus. Die Vögel erstarrten und rissen vor Staunen ihre mächtigen Schnäbel auf. Da ihm nichts Besseres einfiel, fing er an, mit Erbsen zu jonglieren. Die Vögel vergaßen ihre Streitereien und klatschten in die Flügel. Lewadski freute sich und jonglierte immer schneller im Uhrzeigersinn. Da flogen die beiden Kernbeißermännchen auf und hackten mit ihren Schnäbeln nach den Erbsen, bis es nichts mehr zu hacken gab.
Am Morgen fiel Lewadski noch im Halbschlummer das Telefongespräch mit dem Hausarzt ein, und er wurde traurig. Eswar wohl doch kein Traum gewesen, er würde bald sterben. Aber das hatte er immer gewusst, das war nichts Neues. Wäre seine Mutter noch am Leben gewesen, hätte er sie angerufen und gefragt, ob er sich auf die Chemotherapie einlassen solle oder nicht. Die Mutter hat immer auf Kräuter, gute Taten und Gedanken geschworen, sie hätte bei der Diagnose nicht mit der Wimper gezuckt und bis zu ihrem Tod schönes Gebäck gebacken, dachte Lewadski, sich im Bett aufrichtend. Aber vielleicht hätte sie mir, ihrem einzigen Kind, jetzt etwas anderes geraten, mit Hinblick auf die Fortschritte in der Medizin? Ach, zum Teufel mit dem Krebs!
Die Unbekannte von gestern, die alte Dame mit dem Bienenbuch, kam ihm in den Sinn. Dass er noch in der Lage war, über Menschen zu staunen, war ein gutes Zeichen, ein Zeichen, dass er weder für sich noch
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