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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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Jahre alt, an das Konservatorium nach St. Petersburg, das damals schon Petrograd hieß. Bei den Übungen saß der Konservatoriumsdirektor Glasunow nahezu unbeweglich an seinem Schreibtisch und murmelte, sobald das Vorspiel verklungen war, kaum verständliche Sätze, mehr an sich selbst als an die Schüler gerichtet. Glasunow stand nie auf und ging zu den Musikern oder den Instrumenten. Was ihn an den Schreibtisch fesselte, war ein Gummischlauch. Dieser führte von seinem Mund unter die Tischplatte, wo in einem Fach eine Flasche Hochprozentiges gelagert war.
    »Habib?«
    »Sie wünschen?«
    »Haben Sie schon mal gehört, ach, kommen Sie doch rein, ich bin mit Scham bedeckt. Ich meine Schaum. Haben Sie schon mal den Satz gehört, Habib, schlecht sei der Schüler, der seinen Lehrer nicht übertrifft?«
    »Der Schüler, der seinen Lehrer nicht trifft?«, fragt Habib, der sich, Hände im Rücken, neben dem Bidet aufstellt.
    »Übertrifft, übertreffen, größer sein als der andere.« Habib zuckt mit den Achseln.
    »Ein Vogeljunges lernt mehr als seine Eltern«, erklärt Lewadski und versteckt sein Bein wieder im Wasser. »Wenn der junge Vogel nicht ein bisschen besser wird, haben seine Eltern, biologisch gesehen, umsonst gelebt und Eier gelegt und sind umsonst gestorben. Verstehen Sie, Habib?« Habib zuckt noch einmal mit den Schultern.
    »Natürlich ist das Kind der Tod der Eltern«, setzt Lewadski fort, während er ein Stück Seife aus ihrem grüngoldenen Papier zu wickeln versucht. »Wie geht das auf?«
    »In der Mitte aufkratzen«, schlägt Habib vor.
    »Ja, der Tod, ein Tod für nichts und wieder nichts, wenn dieses Vogelkind seinen Eltern nicht eine halbe Kralle voraus ist. Ich würde so weit gehen zu behaupten, schlecht ist der ...«, die Seife wagt aus ihrer Verpackung heraus einen Sprung ins Wasser. »Was wollte ich sagen? Ach ja, so weit würde ich gehen und behaupten, dass eh, dass eh ... zu behaupten: Schlecht ist der Lehrer, der von seinem Schüler nicht übertroffen wird. Und läppisch der Tod ohne Ruhm.«
    »Ruhm?« Habib scharrt fragend mit der Kralle.
    »Na ja, Anerkennung«, murmelt Lewadski, »Bestätigung, wenn Sie wollen.« Er ist verärgert, der Satz sitzt nicht richtig, eine Kluft von zahllosen möglichen Satzvarianten hat sich aufgetan, als er den Satz zu Ende sprechen wollte.
    Schlecht ist, schlecht ist ..., formuliert er in seinem Kopf weiter, warum habe ich ihn überhaupt gerufen, was wollte ich sagen? »Ach!«, Lewadski tastet unter seinen Beinen nach der Seife, »ich habs! Schostakowitsch war ein größerer Fang für sein Jahrhundert als sein Lehrer Glasunow. Und trotzdem hat er seinen Lehrer nicht übertroffen. Äpfel und Birnen lassen sich nicht vergleichen.«
    »Er hat ihn also nicht getroffen?«
    »Getroffen schon, aber übertroffen nicht. Es sei denn, Schostakowitsch hätte mehr gesoffen als sein Lehrer.« LewadskisLachen geht in ein Husten über. »Und dann wollte ich Sie noch bitten, den Beethoven etwas lauter aufzudrehen. Ohne Gebiss glaube ich schlechter zu hören.«
    Habib entfernt sich auf Zehenspitzen. Er dreht die Musik behutsam lauter. So viel Respekt hat er vor ihr, denkt Lewadski, vor ihr und vielleicht vor dem Wunder der Technik, dem CD-Spieler.
    Sein erster Plattenspieler, ein schon für seine Zeit veraltetes Modell, erscheint vor Lewadskis Auge. Der Plattenspieler wärmt sein staubbedecktes Ohr an den Sonnenstrahlen, die durch das Fensterglas in die von Lewadski gerade bezogene Wohnung in der Veteranenstraße 82 fallen. Eben sind die Wandregale eingetroffen. Drei Möbelpacker sitzen rauchend auf den Stufen des Treppenhauses. Eine Nachbarin steigt langsam die Treppe hinunter. Die Möbelpacker nehmen die Zigarette aus dem Mund, stehen auf und treten auseinander. Ein Gespenst mit grauer Hochfrisur, grauem Rock, grauer Jacke, mausgrauen Strümpfen und staubgepuderten Schuhen mit bleistiftdünnen Absätzen klappert an ihnen vorbei. Ihr Mund ist rot gefärbt, das Rouge in den Falten ihrer Wangen erinnert an die Darstellung von Gebirgsmassiven im Weltatlas.
    »Fall auf die Knie, Frau Nachbarin!« Der junge Lewadski steht im Türrahmen. Sein angedrohter Kniefall wird mit einem Lächeln erwidert, das im Neigen des Kopfes gipfelt. »Sie ist es so gewohnt«, rechtfertigt Lewadski seine Beflissenheit vor den Möbelpackern, als die Nachbarin einige Stockwerke tiefer die Haustür kraftlos hinter sich zuzieht. Die Möbelpacker, die während dieses mühevollen Abstiegs vergessen haben, an

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