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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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gemessenen Schrittes auf die Badezimmertür zu, öffnet sie behutsam und lässt mit einer Handbewegung das Badezimmer im Licht eines Kronleuchters erstrahlen, eines der wenigen Schmuckstücke, die Lewadski gerne in seiner kleinen Wohnung in der Veteranenstraße gesehen hätte.
    Es wäre ein Wahnsinn, solch ein Ding an der niedrigen Decke meiner Wohnung hängen zu haben, denkt Lewadski, Habib beim Einlassen des Wassers betrachtend, ein Wahnsinn wäre das. Es wäre, als würde eine bettelarme Witwe ihre Monatsrente für eine Dose Kaviar ausgeben.
    »Mit Schaum oder mit Badesalz?«, hallt es aus dem Badezimmergewölbe.
    »Mit Schaum, bitte!« Kaviar, den sie sich als Hautcreme aufs Gesicht schmieren würde.
    »Wissen Sie ...«, gesteht Lewadski dem im Türrahmen desBadezimmers auftauchenden Habib. »Wollten Sie etwas fragen?«
    »Nein, bitte, setzen Sie fort!«
    »Sie wollten doch etwas fragen?«
    »Ja«, Habib lächelt mit einem Mundwinkel, »aber erst nach Ihnen.«
    »Wissen Sie, ich habe eine sehr kleine Wohnung. Das Wohnzimmer ist ähnlich groß wie dieses Badezimmer. Und es ist voller Bücher. Ich muss lachen«, Lewadski lächelt, »wenn ich an meine kleine Wohnung denke. Was würde sie wohl zu diesem Kronleuchter sagen?« Lewadski sucht nach Worten.
    »Er würde ihr gefallen«, kommt ihm Habib zur Hilfe.
    »Meinen Sie?«
    »Ja, dem Haus meiner Familie würde der Lüster auch gut gefallen. Aber ob sie ein Paar würden, das möchte ich gern bezweifeln.«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil wir keinen Strom haben in unserem Haus. Entschuldigen Sie, das Wasser.« Habib kehrt zur Badewanne zurück. Lewadski stellt sich vor, wie er den Handschuh auszieht und die Wassertemperatur prüft.
    »38 Grad«, Habib deutet im Türrahmen auf das blaue Wasserthermometer in seiner Hand.
    »Korrekt, immer korrekt«, lobt Lewadski mit leichtem Bedauern. Vielleicht besteht wahre Nähe nicht in der vollzogenen Annäherung, Lewadski lässt sich unter die Arme greifen und ins Bad führen, sondern im respektvollen Abstand, den Tiere so gerne zueinander pflegen. In diesem Abstand und nicht in der amorphen klebrigen Verschmelzung hat der Mensch die Freiheit, an den anderen zu denken und ihm nah zu sein, da zu sein, denkt Lewadski.
    »Vorsicht! Glatter Marmor«, Habib drückt Lewadskis eingehakten Arm leicht in die Höhe. Schließlich, denkt Lewadski, ist es unmöglich, im Chaos da zu sein. Man muss herausstechen. So hat man den Überblick, die Zeit gesellt sich zu dem Schauenden.
    »Ein Badetuch habe ich ans Kopfende der Wanne gelegt«, sagt Habib. Nur so, denkt Lewadski, kann man sich wohl entscheiden, ob man für den anderen da sein will. Und nah.
    »Wenn Sie etwas benötigen, rufen Sie einfach. Ich bin da.« Während Lewadski seinen Flanellpyjama aufknöpft, hört er Habib im Nebenzimmer am CD-Spieler hantieren.
    »Soll ich Ihnen beim Einsteigen helfen?«, ruft Habib unter den ersten mächtigen Takten von Beethovens letzter Symphonie.
    »Nein, danke«, ruft Lewadski schwach in das wachsende Pathos des ersten Satzes. Er komme allein zurecht, nur beim Heraussteigen brauche er Unterstützung.
    »Wir haben Zeit«, hört er Habib.
    Viereckige Phrasierung, pedantische Durchführung und armselige Erfindung hat Strawinsky dem toten Kollegen in diesem ersten Satz vorgeworfen, erinnert sich Lewadski. Als er einen Fuß nach dem anderen in den Schaum taucht, stellt er das längst überfällige Schneiden der Zehennägel fest. Und Rimski-Korsakow konnte bei Beethoven die Leitidee hinter den löwenartigen Anläufen nicht finden. Wollte er wohl nicht, der neidische Trunkenbold. Ach nein, es war Mussorgski, der dem Wodka zugetan war. Wo habe ich gelesen, dass er als Student der Musikakademie immer eine Wodkaflasche unter dem Tisch stehen hatte?
    »Einen Tee?«, haucht Habib durch den Türspalt.
    »Danke«, Lewadski wendet den Kopf vorsichtig Richtung Tür, »gerne später.«
    Ach nein, der Riesensäufer war Glasunow, nicht Mussorgski!Lewadski streckt den feuchten Zeigefinger triumphierend zur Decke.
    »Haben Sie gerufen?« Habib reibt seine Livree erneut an der Badezimmertür.
    »Nur in Gedanken laut gesprochen«, beschwichtigt ihn Lewadski. Ja, ja, so war das. Glasunow war es, der sich die Seele aus dem Leib soff. Und gelesen habe ich darüber in einer Schostakowitsch-Biographie. Lewadski streckt sein linkes Bein aus dem Wasser und legt es mit einem dumpfen Schlag auf dem Wannenrand ab. So war das. Schostakowitsch kam als Junge, gerade dreizehn, vierzehn

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