Wer ist Martha? (German Edition)
bitte aus dem Bett. Die Sonne scheint ja.«
»Nicht mehr«, ergänzt Habib, stellt die Vase mit den Blumen zurück auf den Tisch und hilft dem kapriziösen Hotelgast aus dem Bett.
Kurze Zeit später und eine Etage tiefer blättert Lewadski, umschwirrt von zwei Kellnern, umsummt von sehnsuchtsvoller Musik, in der Menükarte des Hotelrestaurants. Wahrscheinlich denkt Habib, ich bin eine faule und launische kapitalistische Sau. Nelke hier, Nelke da. Wenn er nur wüsste, dass ich mir diesen Luxus nicht leisten kann, dass ich hier krankheitsbedingt mein Vermögen verschleudere und den Preis der Minuten, die ich hier verbringe, nur deshalb nicht zähle, weil mir die Zeit zum Zählen zu schade ist. Wenn er nur wüsste, dass ich zwar meine rissige Fassade wahre, doch im Grunde meines Herzens auf der Flucht bin, in Panik, die sich allerdings legt, wenn ich mir diese Vorspeisen anschaue. Durch die Lupe blickt Lewadski auf die Karte.
Duett von der Königskrabbe mit Mango und Erbsenschoten , 25 Euro. Lewadski stellt sich vor, wie die Königskrabben in der heißen Pfanne im Duett singen, immer leiser, bis nur mehr ein Röcheln zu vernehmen ist, ein Röcheln, das plötzlich ein letztes Mal in die Höhe steigt und erstirbt. Er wischt sich eine Lachträne aus dem Auge und liest weiter.
Wachtelpraline mit Gänseleber, jungem Chicorée und Apfel-Kerbelkonfit , 24 Euro. Konfit klinge ein bisschen wie Dynamit, verrät er dem Kellner, der ihm geschäftig Wasser in ein kindskopfgroßes Glas einschenkt. Mit schmerzerfülltem Lächeln offenbart er Lewadski sein schneeweißes Keramikgebiss: Der Herr beliebe zu scherzen. Noch nie sei er so ernst gewesen, gesteht Lewadski und unterdrückt einen Lachkrampf. Der Blick des Kellners ruht eine Sekunde lang auf Lewadskis Lupe. »Lassen Sie sich Zeit«, sagt er, die Augen verdrehend, und flattert von Tisch zu Tisch Richtung Küche. Lewadskis Lupe wandert währenddessen weiter.
Ziegenfrischkäsetörtchen mit geräuchertem Waller und Flusskrebsen , 26 Euro. Treffen sich ein Waller und ein Flusskrebs. Beide tot. Lewadski lacht aus vollem Hals. Ich bin krank, pocht es in seinem Kopf, es ist ein Symptom, dass ich wie ein Schuljunge mit unbegründeten Lachattacken zu kämpfen habe, mich vor Leuten blamiere, das noble Gewölbe mit ungebührlichem Benehmen besudle. Ein sicheres Zeichen meines Verfalls. Kichernd liest er weiter.
Rückenfilet vom Iberico-Schwein mit Glockenpfeffergröstl und Käferbohnenknöderl , 32 Euro. »Zum Wohl«, prosten sich zwei Frauen am Tisch gegenüber zu. »Auf dich, Schatzi«, näselt die Rangniedrigere. Ins Lesen der Speisekarte vertieft, falten sie ihre mit Perlen behangenen Ziehharmonikahälse auf unappetitliche Art und Weise. Beide kommen Lewadski bekannt vor. Sind das nicht die Freundinnen aus dem Café von heute Vormittag? Die sind aber schnell gealtert.
»Entschuldigung«, hält er den umherschleichenden Kellner mit dem Keramikgebiss auf, »dürfte ich Sie fragen, was sich hinter einem Iberico-Schwein verbirgt?«
»Eine in Spanien und Portugal heimische Schweinerasse«, erwidert der Kellner, »halbwild, mit Eicheln gemästet«, ergänzt er, Wasser nachschenkend, »ein Weideschwein!«, flüstert er in Lewadskis geweitete Augen. Lewadski bittet um etwas Zeit.
»Eine zu schöne Bluse, Süße, hast du gut ausgewählt.«
»Die Damen haben gewählt?«
»Wir reden nicht über Sie.« Der Keller verschwindet. Lewadski grinst und liest weiter.
In Salbeimilch pochiertes Lammfilet auf Currykraut , 36 Euro. »Haben Sie Pferdefleisch?«, will Lewadski vom Kellner wissen, der auf leisen Sohlen an den Tisch getreten ist in der Hoffnung, endlich zu erfahren, wofür sich der Gast entschieden hat. Lewadskis Frage versetzt dem Lächelnden einen Kälteschock. Das Funkeln seiner Keramikperlen erstirbt.
»Ich bedauere«, bedauert der Kellner, »was ich dem Herrn empfehlen würde, ist ein soufflierter Steinbutt auf getrüffelter Eierspeise und grünem Spargel, sehr weich und bekömmlich. Oder ein Kalbsfilet im Kräuter-Pistazienbiskuit gebraten mit Pommery-Senf-Püree und Sauce madère. Auch sehr weich.«
Dem Kellner zum Trotz bestellt Lewadski das Iberico-Schwein. Die Damen am Tisch gegenüber haben sich für ein Vier-Gänge-Menü entschieden. »Eine zu schöne Bluse, dezent, sehr dezent und trotzdem schick. Nicht dieser Blümchenkram für Hausfrauen und Ostblock-Großmütterchen, von dem die Läden voll sind ...«
»Übrigens, mein Enkel«, unterbricht die Blusenträgerin,
Weitere Kostenlose Bücher