Wer Liebe verspricht
aufrichtigen Bitte gerührt. Sie konnte auf keinen Fall ablehnen. Vermutlich würde ihre Tante nur Schwierigkeiten machen, wenn sie um Erlaubnis fragte. Deshalb nahm sie die Einladung an und beschloß, sich notfalls später bei Lady Bridget zu entschuldigen. Sie bedankte sich bei Babulal auf Hindustani.
Als es endlich Abend wurde, aß sie allein mit Lady Bridget den kalten Braten und die Salate, denn weder Estelle noch Sir Joshua waren rechtzeitig zum Essen zurückgekommen. Olivia hatte nichts dagegen, daß ihre Tante kaum etwas sagte. Das Schweigen entsprach ihrer Stimmung. Nach dem Essen zog sich Olivia so diskret wie möglich zurück, damit sie ihr Versprechen einlösen konnte.
Überrascht mußte sie sich eingestehen, daß sie nie auf dem Dienstbotengelände gewesen war. Lady Bridget hatte offenbar eine seltsame Abneigung dagegen. Sie erwähnte es nie und interessierte sich auch nicht dafür, wie es dort aussah. Soweit Olivia wußte, hatte sie sich nie dort blicken lassen. Das hätte Olivia jedoch nicht an einem Besuch hindern müssen. Sie gestand sich mit schlechtem Gewissen, daß ihnen die Menschen gleichgültig waren, die so schwer arbeiten mußten, damit sie ein bequemes Leben führen konnten. Man sah das Gelände zwar vom Küchenfenster, aber nun staunte sie trotzdem, wie groß es war. Etwa dreißig Hütten standen an drei Seiten um einen großen rechteckigen Platz. Am anderen Ende befand sich das Waschhaus und dahinter ein Wasserbecken. Daneben war der Stall mit den Milchkühen. Dort wohnte auch der Mann, der sie täglich mit Milch versorgte. Olivia wußte, daß die Templewoods sehr viele Dienstboten hatten, aber als man sie jetzt feierlich herumführte, überraschte sie die große Zahl der Frauen und Kinder, die zu dieser Gemeinschaft gehörten.
Auch in dieser bescheidenen Umgebung herrschten an diesem Abend Fröhlichkeit und ein Glanz von Licht und bunten Farben. Alle trugen neue saubere Gewänder, die Sir Joshua und Lady Bridget an diesem Morgen als traditionelles Bakshish verteilt hatten. Den Mittelpunkt der Festlichkeiten bildete der Altar in der Mitte des Platzes. Das Bildnis der Göttin war prächtig mit viel Rauschgold und einem leuchtend roten seidenen Sari geschmückt. In jedem der zehn Hände und Arme hielt die Göttin einen anderen Gegenstand. Sie stand mit einem Bein auf einem Löwenkopf, denn der Mythologie nach wurde sie von einem Löwen getragen. Man hatte Schalen mit Blumen, Süßigkeiten und Nüssen als Opfergaben vor den Altar gestellt. Öllampen und Weihrauch verbreiteten einen betäubenden Geruch. Ein Brahmane, der für seine Dienste an diesem Abend viel Geld erhielt, wie man Olivia stolz berichtete, sang Hymnen und intonierte Mantras. Über dem Altar befand sich ein orangefarbener Baldachin, an dem man einen Dreizack aus Metall befestigt hatte.
Olivia war entzückt und bestaunte alles mit großer Faszination und Bewunderung. Als Ehrengast erhielt sie einen Stuhl. Alle anderen saßen mit gekreuzten Beinen auf der Erde. Sie spürte die Frömmigkeit und sah die stumme Freude in den leuchtenden Gesichtern, als die Rituale vollzogen wurden. Obwohl Dassera ein Hindu-Fest war, beteiligten sich auch die Moslems unter der Dienerschaft mit großer Begeisterung an der Feier. Rehman, der Kammerdiener, sah völlig anders aus in einem bunten Hemd und einem leuchtend grünen Lungi, als er fröhlich in einem riesigen Kessel rührte, der auf der Veranda stand und würzige Düfte verströmte. Olivia staunte, denn sie kannte ihn nur mit unbewegtem Gesicht und in förmlicher Haltung in der weißen Dienstkleidung. Nach den Gebeten wurden als ein Zeichen des Segens der Göttin Süßigkeiten herumgereicht. Olivia nahm etwas, das wie ein Pistazienplätzchen aussah, und mußte lächeln. Wie viele der Zutaten mochten aus der Vorratskammer ihrer Tante stammen? Aber sie freute sich insgeheim darüber, daß es den Dienstboten gelungen war, ihr Fest so zu gestalten, wie es ihrer Tradition entsprach. Sie legte eine Handvoll Münzen auf das Tablett, um auch etwas beizusteuern.
Als sie ins Haus zurückkehrte, hatte Sir Joshua bereits gegessen und sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Lady Bridget lag vermutlich wütend im Bett, da Estelle immer noch nicht von einer der vielen Verabredungen zurückgekommen war, die sie in letzter Zeit eigenmächtig traf. Nach kurzem Zögern ging Olivia zu ihrem Onkel.
»Ich möchte mir dir sprechen, Onkel Josh – es geht um Estelle, und ich glaube, du solltest mir
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