Wer Liebe verspricht
starrte sie mit wilden, leeren Augen an. »Ja, ich bin verrückt …«
»Dann laß mich deine Verrücktheit teilen, Jai«, flehte sie sanft und versuchte mit jeder Faser ihres Körpers, ihn zu erreichen. »Was auch der Grund für deine Qual sein mag, es ist auch meine Qual, und doch läßt du mich hartnäckig im dunkeln.« Überwältigt von ihrer Liebe legte sie ihm die Arme um den Nacken und drückte die Lippen auf seinen Hals. »Gib mir endlich einen Platz in deinem Leben, Jai …«
Es war heraus! Sie hatte ihrer Klage Worte verliehen. Jetzt gab es keinen Rückzug mehr. Wie kühn es auch gewesen sein mochte, es ließ sich nicht mehr ungesagt machen.
Er antwortete nicht gleich, aber er schob sie auch nicht von sich. Er fuhr mit den Fingern an ihrem Rückgrat entlang, und Olivia spürte die Kraft seines Verlangens. Dann sagte er mühsam, als müsse er jedes Wort einzeln mit einer Zange aus sich herausreißen. »Du hast einen Platz … in … meinem Herzen. Das mußt du … inzwischen wissen.«
So deutlich hatte er noch nie gesagt, daß er sie liebte. Die Welt stand einen Augenblick still. Nichts bewegte sich. Selbst ihr Atem stockte. Der Augenblick erstarrte zur Unsterblichkeit.
Aber dann regte er sich ungeduldig, als sei er wütend auf sich selbst.
»Ich muß gehen.«
Olivia war immer noch völlig verwirrt. »Gehen? Wohin?«
Wie immer löste er behutsam ihre Finger von seinem Nacken und küßte sie einzeln. Dann stand er auf. »Zum Zoll«, erwiderte er mit hochgezogenen Augenbrauen und überrascht, weil sie ihn so niedergeschlagen ansah.
»Donaldson verschifft wieder eine Ladung, die Freddies wachsenden Reichtum sichern soll. Ich will mich davon überzeugen, daß die Ladung nur das enthält, was in den Papieren steht.«
Sie wußte, er machte sich über ihre Angst lustig, aber darauf kam es nicht an. Nicht heute! Er hatte nicht das Wort ›Liebe‹ benutzt, aber er hatte es gedacht. Sie hatte es in seinen Gedanken so klar und deutlich gesehen, als sei es ihm auf die Stirn geschrieben! Trotz aller Unvollkommenheit war dies das Diadem in ihrer Schatzkammer kostbarer Augenblicke … »Du traust deinen Geschäftspartnern wohl überhaupt nicht!« sagte sie leichthin. »Du weißt doch, daß Freddies Firma sich nicht mit Opium befaßt.«
»Früher oder später befassen sie sich alle damit!«
»Obwohl es ein Monopol der Ostindien-Kompanie ist?«
» Weil es ein Monopol der Ostindien-Kompanie ist. Wer ein Monopol hat, kann mehr verkaufen. Und die Geldgier wird immer größer.«
»Du meinst, sie erlauben, daß Opium auch nach Europa geschmuggelt wird?«
»Einige tun es – gegen viel Geld.«
»Wie?«
»Als harmlose Ladung getarnt, mit Kurieren, durch die Mannschaft der Schiffe – es gibt tausend Möglichkeiten. Auch in Europa gibt es Süchtige und stinkende Opiumhöhlen. Woher, glaubst du, bekommen sie das Zeug? Es gibt in England keine Mohnplantagen!«
»Wenn es so ist, dann muß es ein gewaltiger Schwarzmarkt sein. Willst du allein es mit der ganzen Welt aufnehmen?« rief sie entsetzt.
Die Wolken zerrissen, ein Lächeln flog über sein Gesicht wie ein zögernder Sonnenstrahl. »Nein, nur gegen die halbe Welt. Im Augenblick reicht mir das. Komm jetzt, oder ich bin nicht rechtzeitig zur Stelle, und dann kann sich wieder einmal eine Londoner Opiumhöhle freuen.« Olivia erhob keine Einwände. Es war einfach lächerlich, zu glauben, daß ein Mann wie Willie Donaldson, dessen Ruf und dessen Grundsätze ohne Tadel waren, ein Opiumschmuggler sein sollte. Aber sie konnte mit Jai nicht darüber streiten. Sie überlegte flüchtig, ob die Feindschaft gegen ihren Onkel vielleicht darauf beruhte, daß auch in seinen Teekisten Opium nach Europa geschmuggelt wurde.
»Übermorgen finden die rituellen Versenkungen statt, und das ist das Ende des Durga -Festes«, sagte er und wechselte damit das Thema.
»Möchtest du das sehen?«
Olivia rief begeistert: »Ja, o ja! Wo werden die Statuen versenkt?«
»Überall am Fluß an den Flußtreppen. Das Versenken geschieht nachts und ist sehr malerisch.« Er nahm ihre Hand, hielt sie eine Weile mit ernstem Gesicht und fragte dann: »Kannst du ohne Schwierigkeiten von zu Hause weg?«
Schwierigkeiten! Weiß er immer noch nicht, daß ich ihm durch Hitze und Feuer bis an das Ende der Welt folgen würde?
»Ja, Schwierigkeiten hin, Schwierigkeiten her, ich werde kommen.«
»Also gut. Meine Kutsche mit Bahadur wartet am Abend der Versenkung an der Straßenecke.«
»Um wieviel
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