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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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Mondlicht glänzte das schwarze Haar, das mit großer Sorgfalt aus der Stirn gekämmt war, den herrischen Kopf umrahmte und ihm dann in einer weichen Welle in den Nacken fiel. Er war barfuß.
    Olivia spürte einen Kloß im Hals. Sie hatte geglaubt, jede Linie, jede Falte in seinem Gesicht zu kennen und auch den sehnigen, muskulösen Körper, aber nun mußte sie sich eingestehen, daß sie manchmal vergaß, wie faszinierend Jai Raventhorne aussehen konnte. Heute nacht sah er so vornehm wie ein Zamindar aus, wie ein Nachkomme einer aristokratischen Herrscherfamilie. Sie sagte ihm das lächelnd, als er ihr stumm in das Boot half. »Ein Mann zweier Welten«, fügte sie hinzu und setzte sich auf ein bequemes Kissen.
    »Weder der einen noch der anderen.«
    Er saß ihr gegenüber. Sein Gesicht lag im Dunkeln, aber sie spürte, daß er nicht lächelte. Enttäuscht stellte sie fest, daß sie nicht allein waren. Aber als die Ruderer mit ihren langsamen, rhythmischen Schlägen das Boot in die Flußmitte lenkten, sagte sie sich, es sei undankbar, wegen einer solchen Kleinigkeit enttäuscht zu sein. Jai saß dicht vor ihr. Sie konnte ihn mit den Augen spüren, seinen leisen Atem und das Rascheln der Seide hören. Auch ohne ihn zu berühren, spürte sie seinen Puls, als sei es ihr eigener – und das war genug.
    »Wohin fahren wir?«
    »Zum Shiriti Ghat. Dort kann man die Versenkungen vom Fluß aus am besten sehen.« Er bemerkte ihr leichtes Frösteln und runzelte die Stirn. »Warum hast du dir kein Schultertuch mitgebracht?«
    Sie hatte geglaubt, der dicke Tweedrock und die langärmlige Wollbluse seien warm genug, aber der böige, feuchte Wind belehrte sie eines anderen.
    »Das wollte ich auch, aber ich habe es vergessen, als …« Sie brach ab, ihre häuslichen Sorgen interessierten ihn bestimmt nicht. »… als ich mich aus dem Haus geschlichen habe. Ich glaube, ich wäre ein sehr ungeschickter Einbrecher. Ich bin vor Angst beinahe ohnmächtig geworden.«
    Er erwiderte ihr Lächeln nicht, legte ihr nur besorgt sein Tuch um die Schultern. In der Dunkelheit sah sie forschend in seine Augen, die wie von der Sonne gebleichtes Holz schimmerten, aber sie verrieten ihr nichts. Eine unbestimmte Unruhe erfaßte sie. Es gelang ihr nicht, seine Stimmung zu erraten. Er wirkte angespannt, aber die Schweigsamkeit deutete nicht auf Gelassenheit oder Gleichgültigkeit hin – soviel ahnte sie. Olivia wußte, daß den bohrenden Blicken nichts, auch nicht die kleinste Regung in ihr entging. Trotzdem tat es ihr gut, daß er sie ansah. Und das Tuch aus daunenweicher Pashmina -Wolle empfand sie wie eine zärtliche Umarmung. Sie schob das Unbehagen beiseite und lächelte.
    »Hast du bei dir zu Hause die Durga-Rituale durchgeführt?« Er schien philosophisch zwar sehr bewandert, aber sie hielt ihn nicht für religiös.
    »Ja.«
    »Bist du fromm?« fragte sie überrascht.
    »Nein, man erwartet es von mir.« Meinte er mit ›man‹ Sujata? Aber dann fiel ihr ein, daß Sujata nicht mehr bei ihm wohnte. Er schien ihre Frage zu ahnen und fügte hinzu: »Die Leute erwarten es, die auf meinen Schiffen und in meinem Kontor arbeiten … die Leute in der Nachbarschaft, die zu arm sind, um einen Altar zu errichten«, er blickte ihr in die Augen, »alle, die die Göttin verehren wollen.«
    Freunde oder Verwandte erwähnte er nicht, denn er hatte keine.
    »Bedeutet dir das Ritual etwas?«
    »Nein. Ich muß den Göttern weder danken, noch habe ich eine Wunschliste für besondere Gunstbeweise in der Zukunft. Mein Schicksal liegt allein in meinen Händen.«
    Wie immer verletzte sie sein Zynismus. Die Einsamkeit, an der er beinahe fanatisch festhielt, schmerzte sie. Wieder einmal wollte sie die Festung erstürmen, hinter der er sich verschanzt hatte. Sie empfand seine Isolation besonders grausam, da ihm nichts fehlte, was er sich mit Geld kaufen konnte, doch alles, was er sich nicht kaufen konnte. Wer mochte sein Vater sein, der ihn ohne Namen sich selbst überlassen hatte? Hatte Jai sich auf die Suche nach ihm gemacht? Fehlte ihm der Vater, sehnte er sich nach der väterlichen Zuneigung, die ihm als Sohn zustand? Und die Mutter – diese unglückselige, mißbrauchte Frau –, hatte sie das ungewollte Kind vielleicht abgelehnt, das ihr ein grausames Schicksal aufzwang? War diese Frau wirklich tot? Lebte der unbekannte Vater noch? Und von wem hatte er diese seltsamen Augen?
    »Beschäftige dich nicht mit Nebensächlichkeiten, Olivia!« Wie immer wußte er mit

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