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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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entladen. Plötzlich knarrten im Flur die Dielen. Dann war wieder alles still. Olivia atmete erleichtert auf. Ihre Cousine war endlich nach Hause gekommen. Sie würde noch eine Viertelstunde warten, bis Estelle eingeschlafen war. Olivia wartete … noch zehn Minuten, noch fünf …
    Die Zimmertür ging plötzlich auf, und Estelle kam herein. »Wie gut, daß du noch wach bist, Olivia. Ich muß mit dir über etwas Wichtiges reden.« Sie ging zu dem Sessel am Fenster und setzte sich.
    Mein Gott, doch nicht jetzt! Doch nicht jetzt …!
    Olivia klopfte das Herz bis zum Hals. Sie versuchte, so gut es ging, vor Estelle zu verbergen, daß sie Stiefel anhatte. Warum muß diese egoistische, rücksichtslose, unverantwortliche Person mit ihren Problemen kurz vor Mitternacht zu mir kommen, fragte sie sich wütend.
    »Tut mir leid, Estelle«, erklärte Olivia eisig, »aber ich wollte gerade zu Bett gehen. Ich bin schrecklich müde. Hat es nicht Zeit bis morgen?«
    Estelle zögerte.
    »Also, Estelle, wenn es um die Aufführung geht, ich habe bereits mit Onkel Josh darüber geredet. Er … hat versprochen, über die Sache nachzudenken ..«
    »Es geht nicht um die Aufführung.«
    Etwas in Estelles Ton ließ Olivia aufhorchen. Ihre Cousine war blaß. Sie hatte verweinte Augen und saß starr und völlig verspannt vor ihr. Olivia überlegte gereizt: Ach du liebe Zeit! Das dumme Ding hat sich mit Clive Smithers auf etwas Gefährliches eingelassen …
    In diesem Augenblick schlug die Uhr unten im Haus Mitternacht. Wie lange würden die Versenkungen dauern? Und was wäre, wenn Bahadur glaubte, sie werde nicht kommen, und ohne sie davonfuhr? Oder wenn Jai das Warten zu lange dauerte, und er nach Hause ging? Olivia erfaßte Panik. Sie schluckte und sagte dann gepreßt:
    »Estelle, mir platzt der Kopf. Ich habe wieder eine dieser scheußlichen Migränen oder bekomme eine Erkältung … ich weiß es nicht. Ich kann jedenfalls kaum noch die Augen offen halten. Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht bald schlafe, breche ich zusammen … Ich kann mich einfach nicht auf das konzentrieren, was du mir sagen möchtest ..« Sie redete unzusammenhängend auf Estelle ein, ging zu ihr, zog sie beinahe mit Gewalt aus dem Sessel und schob sie zur Tür. »Morgen, Estelle, morgen, ich verspreche es dir. Morgen können wir den ganzen Tag miteinander reden, und wenn du willst auch die Nacht, ich verspreche es dir …«
    Estelle starrte sie überrascht und verletzt an. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Also gut. Entschuldige, daß ich es gewagt habe, deine Zeit in Anspruch zu nehmen, meine liebe, verständnisvolle Olivia. Gute Nacht.«
    Olivia entging Estelles Sarkasmus, so erleichtert war sie darüber, daß ihre Cousine nicht auf dem Gespräch bestand. Ungeduldig beschloß sie, noch zehn Minuten zu warten. Dann zog sie die Stiefel aus, zog die Zimmertür geräuschlos hinter sich zu und lief auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Sie betete, daß ihr Onkel nicht gerade jetzt nach Hause kommen werde und eilte durch das große Eßzimmer, durch Wohnzimmer und Billardzimmer und kletterte dann durch ein Fenster an der Rückseite des Hauses, an dem der Riegel fehlte. Sie rannte durch den Gemüsegarten, kletterte über die niedrige Mauer und lief zur Hauptstraße an der Ecke. Dort, im dunklen Schatten eines riesigen Bo-Baumes wartete Jais Kutsche. Bahadur stand geduldig daneben. Mit einem Seufzer der Erleichterung stieg Olivia ein und ließ sich aufatmend gegen die Polster fallen.
    Olivia dachte in dieser Nacht nicht mehr an Estelle. Für sie gab es auf der Welt nur noch Jai Raventhorne.
    Während die Kutsche sie zu dem Mann brachte, der ihr Schicksal war, ahnte Olivia nicht, daß sie den größten Fehler ihres Lebens begangen hatte, als sie Estelle aus dem Zimmer schickte. Dafür sollte sie einen sehr hohen Preis bezahlen – einen Preis, der alle Vorstellungen überstieg …

Neuntes Kapitel
    Olivia erkannte ihn kaum.
    Der Dassera-Mond tauchte die Welt in ein kaltes weißes Licht, in dem alles gespenstisch zu leuchten schien. Am Landungssteg, zu dem die Kutsche sie brachte, tanzten silberne Flecken über das schwarze Wasser, das der böige Wind zu unruhigen Wellen peitschte. Am Bootssteg lag ein großes Beiboot der Ganga  – erkennbar an dem metallisch blinkenden Dreizack am Bug. Daneben stand eine seltsame Gestalt in einem hellen, goldgesäumten seidenen Dhoti und einer Kurta. Ein besticktes wollenes Tuch mit Fransen lag über einer Schulter. Im

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