Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
Vom Netzwerk:
Verachtung spürte, dann ließ er es sich nicht anmerken. Aber darauf kam es jetzt nicht mehr an.

Zehntes Kapitel
    Der Mond verbreitete kaum Licht. Nur eine dünne Sichel stand am Himmel. Im schwachen Sternenschein rieb sich der Bootsmann verschlafen die Augen und sah Olivia verwundert an. Sie öffnete die Stoffbörse und drückte ihm ein paar Silbermünzen in die Hand.
    »Die Hälfte bekommst du jetzt und den Rest, wenn du mir die Antwort gebracht hast.« Hindustani sprach sie zwar noch nicht fließend, aber die Münzen bedurften keiner ausführlichen Erklärung.
    Der Mann wurde plötzlich hellwach und nickte eifrig. » Theek hai, Memsahib, sehr wohl. Der Brief?«
    Olivia gab ihm die versprochene Hälfte und dann den Umschlag. »Vergiß nicht, ich brauche unbedingt eine Antwort.«
    »Aber wenn der Sarkar nicht an Bord ist?«
    »Er ist an Bord«, beteuerte sie mit mehr Sicherheit, als sie empfand, » nur er darf den Brief erhalten – sonst niemand, achcha ? Verstanden?«
    Der Bootsmann gähnte und nickte noch einmal. Er wunderte sich noch immer, daß eine Mem ihn mitten in der Nacht geweckt hatte, die zu dieser Zeit bestimmt nicht allein durch die Gegend reiten durfte. Aber was kümmert es mich, dachte er achselzuckend. Das Verhalten dieser Frau bestärkte ihn in seiner Auffassung, daß alle Weißen mehr oder weniger verrückt waren.
    Das kleine Ruderboot glitt langsam auf den Fluß hinaus. Olivia blieb allein im kalten Wind zurück, der ihr durch Mark und Bein ging. Sie zog den Wollumhang fester um sich, legte Jasmines Decke auf eine Banyan-Wurzel, setzte sich und wartete geduldig auf die Rückkehr ihres Boten. Es war erst kurz vor zehn Uhr abends, aber auf den Straßen liefen nur noch streunende Hunde. Große Ratten huschten quiekend und raschelnd durch das abgefallene Laub. Hin und wieder ertönte ein schriller Schrei, wenn ein unvorsichtiges Tier gefangen und auf der Stelle gefressen wurde.
    Olivia legte die Arme um die Knie und zog den Rock enger an sich. Ihr war kalt, sie richtete die Augen unverwandt auf die Stelle im tintenschwarzen Fluß, wo die Ganga vor Anker lag. Trotz der dunklen Nacht glaubte sie, die verschwommenen Konturen und die gelben Lichtpunkte an Deck erkennen zu können. Irgendwo dort drüben saß Jai und las vielleicht in diesem Augenblick ihren Brief. Sie hatte ihn sofort geschrieben, nachdem sie ihren Onkel dem Brandy und seinem widerlichen Triumph überlassen hatte. Niemandem war aufgefallen, daß sie das Haus verließ (sie bekam langsam Übung darin!), in den Stall schlich, wo der Stallknecht und sein Sohn schnarchend im Heu lagen, und Jasmine sattelte. Und sollte jemand sie beobachtet haben, war es auch nicht weiter wichtig. Morgen früh würde ganz Kalkutta die Wahrheit erfahren! Diese Vorstellung befriedigte sie. Die Heimlichtuerei und Verstellung ödete sie an. Morgen würde sie auf den Ochterlony-Turm steigen und der Welt sagen, daß sie Jai Raventhorne liebte …
    Ein leises Klatschen im Wasser erregte ihre Aufmerksamkeit. War der Mann schon zurück? Hatte er eine Antwort? Als der Bootsmann kurz darauf am Ufer anlegte und sie zu ihm lief, gab er ihr den Brief zurück – ungeöffnet!
    »Der Sarkar ist nicht an Bord«, sagte er bedauernd. Er rechnete damit, ohne die Antwort auch nicht die versprochenen Münzen zu erhalten.
    »Wer hat das gesagt? Wen hast du an Bord gesehen?«
    »Da der Sarkar nicht auf dem Schiff ist, mußte ich nicht hinaufklettern.« Er deutete klagend auf seine Knie, »ich bin alt und die Gelenke wollen nicht mehr so wie früher …«
    »Ja, ja, aber wer hat dir gesagt, daß der Sarkar nicht an Bord ist?« unterbrach ihn Olivia ungeduldig. »Hast du die Stimme erkannt? Versuch, dich zu erinnern.« Es bestand kaum noch Hoffnung.
    Der Mann dachte nach. »Also, das ist schwer zu …«
    »War es Bahadur?«
    Er nickte. »Ja, ja, es war Bahadur. Ich kenne ihn, denn er kommt oft zu mir, um …«
    Olivia unterbrach ihn, holte die Börse hervor und schüttete alle Münzen in seine Hand. Er schluckte verblüfft und starrte auf das Silber. Mit zitternden Fingern schloß sie seine Hand. »All das gehört dir, wenn du mich zum Schiff bringst, wartest und mich dann wieder hierher bringst.«
    Der Bootsmann sprang eifrig in das Boot zurück. Er strahlte zufrieden und schob die Münzen schnell in sein Lungi. Olivia schöpfte wieder Hoffnung. Ihre Wangen röteten sich im Vorgefühl des Erfolgs. Sie setzte sich entschlossen in das Boot. Ihr Instinkt hatte sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher