Wer Liebe verspricht
sie das Blatt mit bebenden Händen und legte es wieder auf den Schreibtisch. »Die Zeugen lügen«, sagte sie ruhig, »sie lügen alle.«
Unter ihrer Ruhe lag soviel Leidenschaft, daß Ransome sie verblüfft ansah. Er wurde rot. Seine Hand zitterte so heftig, daß er das Glas abstellen mußte. »Wie können Sie so etwas mit dieser Überzeugung sagen, Miss O’Rourke?« fragte er und wurde wieder eine Spur blasser. »Sagen Sie mir – was hat Ihnen Josh in seinem betrunkenen Zustand gesagt? Bitte seien Sie offen, denn ich muß unbedingt alles wissen.«
Olivia erschrak, denn er sah plötzlich sehr grau im Gesicht aus. Sie merkte, daß ihr die Knie weich wurden und setzte sich schnell.
»Onkel Josh hat mir nichts verraten«, erklärte sie mit versteinertem Gesicht. »Er hat völlig unzusammenhängend geredet. Aber sagen Sie mir – wie wird die Anklage gegen Raventhorne lauten?«
Ransome war so mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt, daß er ihre Erregung nicht bemerkte. »Arvind Singh kann Anklage erheben.« Er leerte das Glas, stützte sich auf den Tisch und trocknete mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Wenn er es tut, wird die Nebenklage auf Sabotage lauten, obwohl Arvind Singh an der Mine beteiligt ist. Die Hauptanklage erfolgt wegen Totschlag.«
»Wird Arvind Singh Anklage erheben?« Sie stand auf und wollte ihm nachgießen.
Er legte die Hand über das Glas und schüttelte den Kopf. »Nein danke, das reicht. Einer von uns muß einen klaren Kopf behalten.« Seine Worte klangen bitter. »Slocum wird bestimmt versuchen, Arvind Singh so weit zu bringen, daß er Anklage erhebt – und dafür sorgen, daß das Urteil hoch ausfällt. Slocum haßt Raventhorne – vermutlich aus gutem Grund. Seine Schwester war einmal …«, er brach ab und wurde wieder rot. »Slocum wird jedenfalls nicht lockerlassen.«
Die Anspielung auf Slocums Schwester erinnerte Olivia an gewisse Gerüchte, die sie von Estelle gehört hatte. Aber das war jetzt nicht wichtig. Sie fragte statt dessen: »Und wie reagiert Raventhorne auf all das?«
»Er hat seine Reaktion bis jetzt nicht zu erkennen gegeben.«
»Er hat nichts unternommen, um die Lügen zu entkräften?«
Ransome sah sie vorsichtig an und fragte: »Weshalb sind Sie eigentlich so sehr davon überzeugt, daß es Lügen sind, Miss O’Rourke?«
Diesmal war sie auf die Frage vorbereitet. »Nach den Gerüchten, die über diesen Mann in Umlauf sind, bin ich sicher, daß es Lügen sind. Sie haben selbst immer wieder behauptet, er sei ungewöhnlich gerissen und verschlagen, wenn es um Geld geht. Ich kann nicht glauben, daß er so ungeschickt sein soll, wenn er den Wolf im Schafspelz spielen wollte! Er würde nie so amateurhaft vorgehen! Fällt Ihnen nicht auf, daß er praktischerweise von fünf Zeugen gesehen wird, die behaupten, nicht nur den Mann, sondern auch das stadtbekannte Pferd erkannt zu haben?«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, Raventhorne würde sich die eigene Nase abschneiden, nur um …«
»Die Nase ja, aber nicht den Kopf!« Olivia war sich bewußt, daß sie sich auf gefährliches Terrain wagte. Ransome mochte jeden Augenblick eine Schlußfolgerung ziehen, die ironischerweise keine Realität mehr besaß. Sie rief sich energisch zur Ordnung und sagte betont gelassen: »Ich halte mich nur an das Augenscheinliche, Mr.Ransome, wie es jeder Anwalt auch tun würde. Aber sagen Sie, und ich frage das aus reiner Neugierde, halten Sie ihn für schuldig?« Sie sah ihn nicht an, sondern spielte mit den Fransen ihres Umschlagtuchs.
Er wurde sofort förmlich. »Es ist nicht wichtig, was ich glaube, Miss O’Rourke«, erklärte er steif. »Es kommt darauf an, was Slocum glaubt, oder wovon man ihn überzeugt. Barney Slocum ist ebenso auf Rache aus wie Raventhorne – und er hat sehr viele Gründe dafür.« Er ließ bekümmert die Schultern hängen. »Ich fürchte, uns steht sehr viel Ungutes bevor, Miss O’Rourke. Die Ereignisse beunruhigen mich wirklich, denn was in Gang gesetzt wurde, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Slocum wird Raventhorne nicht mehr aus den Fängen lassen. Ganz gleich, wie die Wahrheit aussieht, die Fakten werden dem gewollten Muster angepaßt. Die Öffentlichkeit ist bereits gegen Jai aufgebracht – und, ich wage zu behaupten, nicht ohne guten Grund. Man wird Slocum unterstützen, ihn zwingen, so scharf wie möglich durchzugreifen. Ich weiß nicht, wo das alles noch enden soll – oder besser gesagt, ob es je ein Ende
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