Wer Liebe verspricht
ihm, drückte energisch die Klinke herunter und trat ein. Sie hörte, wie er erschrocken Luft holte, aber sie schlug schnell die Tür hinter sich zu.
Raventhorne saß am Sekretär und schrieb. Durch das Geräusch gestört, drehte er sich um. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke. Sein Gesicht blieb unbewegt. Olivia lehnte sich erschöpft gegen die Tür und sah ihm schweigend zu. Nur das Kratzen der Feder auf dem Papier war zu hören. Er hatte die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, den Kopf auf eine Hand gestützt. Die Finger lagen auf den ungekämmten Haaren. Unter dem Sekretär hatte er die Beine ausgestreckt und die Füße gekreuzt. Das ihr zugewandte Profil lag im Lichtschein der Lampe – dem einzigen Licht in der Kabine. Völlig auf seine Arbeit konzentriert, bewegte er sich kaum. Nur seine Augen folgten der schnell über das Papier gleitenden Schreibfeder.
Trotz aller Entschlossenheit, ihrem Zorn und dem Zweifel an diesem verrückten Abenteuer wurde Olivia weich vor Liebe und Sehnsucht nach ihm. Etwas in ihr schmolz wie Wachs an einer Flamme. Dann aber schob sie diese Schwäche energisch beiseite, richtete sich stolz auf und trat mutig vor den Sekretär. Er hob noch immer nicht den Kopf. Und als er sich schließlich dazu bequemte, etwas zu sagen, unterbrach er nicht seine Arbeit.
»Du hättest nicht kommen sollen, Olivia. Du machst es mir sehr schwer.«
Ich mache es ihm schwer?
Sie glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. »Ich glaube, du bist nicht so dumm, das hier für einen Höflichkeitsbesuch zu halten«, erwiderte sie kalt, »ich bin nur gekommen, weil …«
»Ich weiß, weshalb du gekommen bist. Die edle Geste, zu der du dich in meinem Interesse veranlaßt fühlst, ist unnötig.«
»Ich mich veranlaßt fühle? Glaubst du, ich werde in dieser Situation schweigen?«
»Wenn du mich aus Freundschaft besuchst«, erwiderte er mit dem Anflug eines Lächelns, »dann bin ich entsprechend gerührt – besonders, da du nach deiner Krankheit noch nicht wieder ganz gesund bist, wie ich höre. Du kannst jetzt wieder gehen.«
»Gerührt! Du meinst, es gibt noch etwas, das dich rühren kann?« Sie lachte verächtlich, aber er sah sie weder an, noch reagierte er auf diese Anspielung. Olivia ballte die Fäuste. »Du könntest wenigstens die Höflichkeit besitzen, mich anzusehen, wenn du mit mir sprichst – oder hast du davor Angst?«
Er beendete seine Arbeit und legte ohne Eile die Feder zur Seite. Dann lehnte er sich zurück und starrte sie ausdruckslos an. »Nein, ich habe keine Angst. Ich versuche lediglich anzudeuten, daß ich deine Anteilnahme zwar schätze, aber daß ich dir nichts zu sagen habe.« Er griff nach der Feder und begann, wieder zu schreiben, »und du auch nicht mir«.
Es fiel ihr nicht leicht, sich zu beherrschen, aber es gelang ihr. Sie griff nach einem Stuhl, zog ihn vor den Sekretär, setzte sich und schlug die Beine übereinander. »Ist dir bewußt, was man dir vorwirft?« Diese rhetorische Frage sollte sarkastisch klingen.
»Mir wird ständig alles mögliche vorgeworfen. Ich weiß nicht, worauf du dich beziehst.«
»Sei nicht so unverschämt! Sie werden dich wegen Totschlag oder sogar Mord anklagen!«
»Ja, das würde mich nicht wundern.«
»Willst du damit sagen, daß dir diese falsche Anschuldigung nichts ausmacht? Möchtest dich nicht verteidigen, sondern lieber ins Gefängnis gehen?« Sie faltete die Hände im Schoß, um sie zur Ruhe zu zwingen.
Er nahm langsam ein Löschblatt, drückte es vorsichtig auf das Geschriebene und griff nach einem neuen Blatt. »Für meine Verteidigung ist bereits gesorgt. Dazu brauche ich aber nicht den Schutz eines Weiberrocks. Ich versichere dir, dein Ruf wird in keiner Weise leiden.«
»Glaubst du wirklich, mir liegt etwas an meinem Ruf?« rief sie, verzweifelt über seine verletzende Ablehnung. Er gab ihr keine Antwort. »Wie … wie soll deine Verteidigung aussehen? Bitte sag es mir, Jai …«
»Wie auch immer, es geht dich nichts an.« Zum ersten Mal zeigte er eine Reaktion. »Ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, ich würde dich nicht wiedersehen, Olivia. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du jetzt gehst und mich allein läßt.«
Das aufreizende Kratzen der Feder auf dem Papier hörte nicht auf. Olivia sah plötzlich nur noch rot. Ihre Geduld war erschöpft. Sie wollte schreien und diese Granitmauer niederreißen, an der sie sich den Kopf blutig stieß. Mit einem Fluch sprang sie auf, riß ihm die Feder aus der Hand
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