Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
Vom Netzwerk:
beobachteten die zackigen Übungen einer Gruppe Soldaten. An einer Seite des Platzes befanden sich hohe überdachte Ställe, in denen massige Elefanten mit Blättern und Zweigen gefüttert wurden, während die Sepoys mit beachtlicher Präzision ihren täglichen Drill absolvierten. »Die Menschen neigen dazu, ihr Leid eifersüchtig zu verteidigen«, erwiderte Olivia. Estelles im Stich gelassener kleiner Spaniel winselte und zog an der Leine. Olivia beugte sich zu ihm herunter, löste die Leine und ließ ihn laufen. »Und wie alles andere muß auch das Leid durchlebt werden, ehe die Zeit es heilt, ob man nun geheilt werden will oder nicht. Früher oder später werden sie sich mit dem Verlust abfinden.« Wie gefühllos und überheblich das klang! Würde sie sich je mit ihrem Verlust abfinden?
    »Das glaube ich auch«, stimmte Ransome zu, »aber mich schmerzt am meisten, daß sie offenbar nichts mehr voneinander wissen wollen.«
    Er hatte recht. Tragödien und Katastrophen bewirken meist, daß Familien zusammenrücken. Estelles Flucht schien die Templewoods jedoch noch weiter auseinander zu treiben. Dumpfer Haß, unausgesprochene Vorwürfe, die Einöde vergeblicher Gedanken und die Unmöglichkeit, die Gegenwart des anderen zu ertragen, lagen wie eine dunkle Wolke über ihnen. Sie sprachen kaum ein Wort und blieben in abgesteckten Bereichen, in die niemand eindringen durfte. Das war tragisch, aber für Olivia wurde es aus anderen Gründen zu einer zunehmenden Last. In der wachsenden gegenseitigen Entfremdung suchten sie bei ihr emotionale Unterstützung und Kraft. Wie sollte Olivia sie jetzt verlassen, da beide sie so verzweifelt brauchten?
    Die letzte Dezemberwoche brach an. Weihnachten kam und ging kaum bemerkt vorüber. Eine Einladung der Baptistenmission zum Mittagessen lehnten sie ebenso ab wie die des Militärkommandanten. Es blieb Babulal überlassen, mit einem gebratenen Perlhuhn an den Feiertag zu erinnern, und mit heißen Minzpasteten, die er in einem behelfsmäßigen Ofen mit großer Geschicklichkeit zauberte. Es gab keine Geschenke, es wurden keine Weihnachtslieder gesungen, kein Baum wurde geschmückt, nichts deutete auf den burra Din, den großen Tag, hin, den die Christen überall im Land mit Begeisterung feierten. Trotz der religiösen Inbrunst schreckte Lady Bridget vor der Idee zurück, einen Gottesdienst zu besuchen, an dem auch andere Menschen teilnahmen. Und niemand wäre darauf gekommen, Sir Joshua so etwas vorzuschlagen.
    Der Gedanke an ein fröhliches Weihnachten war absurd, und Silvester wurde vergessen. Am nächsten Morgen erschien ein Bote aus Kalkutta mit Grüßen von Freddie Birkhurst und seiner Mutter. Das erinnerte sie daran, daß über ihren Alpträumen das Jahr 1848 in aller Stille vergangen war und das neue Jahr bereits begonnen hatte. In einem Brief an Olivia beklagte Freddie, daß sie nicht in der Stadt war, und bat um Erlaubnis, sie sofort nach der Rückkehr besuchen zu dürfen.
    Freddie! Olivia hatte ihn in den vergangenen Wochen beinahe vergessen! Aber jetzt mußte sie natürlich auch an ihn denken. Sie war ihm noch immer die Antwort auf den Heiratsantrag schuldig. Es gab keinen Zweifel daran, wie die Antwort ausfallen würde, aber bereits die Aussicht, ihn mit sinnlosen Phrasen zu trösten und seine verzweifelten Klagen und möglichen erneuten Überredungsversuche anzuhören, erschien ihr unerträglich. Olivia hatte Arthur Ransome eigentlich sofort nach der Rückkehr nach Kalkutta bitten wollen, ihre Rückreise zu buchen, aber als sie Freddies leidenschaftlichen Brief in Händen hielt, beschloß sie, das Thema sofort zur Sprache zu bringen. Mit einer langen Liste guter Gründe versuchte sie, ihm die bittere Pille schmackhaft zu machen. Sie berichtete, das Asthma ihres Vaters bereite ihm wieder große Schwierigkeiten, er bitte um ihre Hilfe bei einem neuen Buch, er habe in Hawaii Land gekauft, und es sei nicht zu verantworten, daß er sich allein auf der Insel abmühe … Olivia schämte sich, als sie dem guten und aufrechten Freund diese Lügen auftischte. Aber die Verzweiflung hatte ihr Gewissen abgestumpft, und ein neuer, noch verheerenderer Sturm braute sich über ihrem Kopf zusammen. Die schnell herannahenden Böen der Panik drohten bereits, sie davonzuwehen.
    »Aber natürlich, mein Kind.« Ransome bemühte sich tapfer, seine Enttäuschung zu verbergen, und nahm ihre Erklärungen ohne Einwände hin. »Es ist unverzeihlich egoistisch von uns, dich hier festzuhalten, wenn du

Weitere Kostenlose Bücher