Wer Liebe verspricht
erklärte, einen allein reisenden Fahrgast mitzunehmen, aber unter der Voraussetzung, daß Olivia jederzeit zur Abreise bereit sei. Überglücklich machte sich Olivia mit neuem Schwung an die Vorbereitungen – auch aus anderen Gründen. Freddie Birkhurst überschwemmte sie mit leidenschaftlichen Briefen und bestürmte sie mit dem Wunsch nach einem Treffen. Olivia wußte, sie würde es ihm nicht verwehren können. Aber sie wollte ihn natürlich erst im allerletzten Moment sehen, wenn sich an ihren Plänen nichts mehr ändern konnte.
Ihr schlechtes Gewissen besänftigte Olivia, indem sie sich einredete, der Haushalt der Templewoods, ihr Onkel und ihre Tante seien auf dem Weg der Normalität oder zumindest in einer akzeptablen Verfassung. Sir Joshua war noch immer ein gebrochener Mann, der über längere Zeiten völlig apathisch nichts mehr wahrzunehmen schien. Ransome überredete ihn, zumindest für kurze Zeit täglich ins Kontor zu kommen, und die erzwungene geistige Arbeit schien eine therapeutische Wirkung zu haben. Lady Bridget beaufsichtigte wieder die Gärtner, und ihre täglichen Auseinandersetzungen mit dem Koch klangen inzwischen erfreulich temperamentvoll. Alles in allem schien sie Olivias bevorstehende Abreise ohne übertriebene Gefühlsregung hinzunehmen. Zumindest erwähnte sie dieses Thema nach dem Gespräch im Garten nicht mehr.
Vor der Abreise schrieb Olivia auch noch einen Brief an Kinjal. Und dieser Brief fiel ihr schwer. Kinjal wußte natürlich, daß Jai Raventhorne das Land verlassen hatte. Olivia konnte jedoch nicht abschätzen, ob sie auch etwas von der Rolle ahnte, die Estelle dabei spielte. Aber ihr Ehrgefühl verlangte, daß Kinjal die ganze Wahrheit erfuhr. Aber schließlich fragte sie nur an, ob es vor ihrer Abreise möglich sei, ein oder zwei Tage nach Kirtinagar zu kommen. Kinjal antwortete umgehend. Es mache sie sehr traurig, schrieb sie, daß ihre liebe amerikanische Freundin sie so schnell verlassen werde. Aber in ihrer üblichen diskreten Art äußerte sie sich nicht zu Olivias plötzlichem Entschluß und stellte ihn auch nicht in Frage. Die Maharani schrieb, sie werde Olivia am folgenden Samstag von einer Kutsche abholen lassen, wenn es ihr recht sei.
Es war Olivia nicht nur recht, sondern ein Rettungsanker in allerhöchster Not, denn am Mittwoch, eine Woche vor Olivias Abreise, schloß sich Lady Bridget im Badezimmer ein und versuchte, sich das Leben zu nehmen.
*
»Was, zum Teufel, ist mit Ihnen los, Josh? Sehen Sie doch ein, Mann, daß sie dieses schreckliche Land auf der Stelle verlassen muß!« Dr.Humphries ließ sich erschöpft, schwitzend und zornig in einen Sessel fallen und leerte ein Glas Whisky. Keiner der drei konnte etwas darauf sagen. Sie saßen alle erschrocken und mit bleichen Gesichtern im Wohnzimmer der Templewoods. Sir Joshua starrte unverwandt auf den Teppich und hielt die Hände fest im Schoß.
»Josh, Sie können Bridget nicht länger hier halten«, fügte der Arzt sachlich hinzu, nachdem der erste Zorn vorüber war. »Sie hätte es um Haaresbreite geschafft. Nur weil ihr die Hände so heftig zitterten, ist es ihr nicht gelungen, die Adern völlig zu durchtrennen. Und wenn Olivia nicht zufällig gehört hätte, wie Bridget zu Boden fiel, wäre es um sie geschehen. Sie hat gefährlich viel Blut verloren.«
Sir Joshua schwieg noch immer, aber Ransome überwand die lähmende Bestürzung. »Ja, natürlich, Bridget muß nach Hause, und Josh muß sie begleiten. Ich sage ihm das schon seit Wochen.«
Dr.Humphries erhob sich. Er ging zu Sir Joshua und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sie wird es noch einmal versuchen«, erklärte er ruhig, »das tun sie immer.«
Er verabschiedete sich und ging. Zurück blieb ein eisiges, bedrohliches Schweigen, und keiner der drei hatte den Mut, es zu brechen. Olivia stand stumm am Fenster und starrte hinaus, ohne etwas zu sehen. Und wenn sie den Sturz nicht gehört hätte? Wenn niemand es gehört hätte? Wenn ihre Tante den Selbstmordversuch wiederholen würde …? Die Aja hatte seelenruhig vor dem Schlafzimmer ihr Nachmittagsschläfchen gehalten. Ein Dutzend Dienerinnen wären ebenso nutzlos. Lady Bridget brauchte jetzt mehr denn je ständige Pflege und Zuwendung. Würde die von Dr.Humphries geschickte Krankenschwester wirklich wachsam genug sein …? In Olivia erhob sich ein gequälter und angstvoller Protestschrei.
Das ist nicht mein Problem! Es ist nicht meine Verantwortung! Gott weiß, ich habe eigene
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