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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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dir selbst immer treu.
    Der Rat ihres Vaters klang jetzt hohl und nichtssagend. Olivia wußte nicht mehr, wer sie war. Das ›wahre Ich‹, das ihr Vater so hochhielt, schien für immer ihrer Sicht entzogen. Olivia lief die ganze Nacht auf und ab. Sie versuchte, den Anblick ihrer Tante zu vergessen, die auf dem Badezimmerboden lag, während das Blut wie Fontänen aus den geöffneten Adern schoß. Dieses Blut klebte auch am Saum ihres Kleides, das sie noch nicht gewaschen hatte. Als sie ihrer Tante helfen wollte, hatte Olivia sich beide Hände blutig gemacht. Ärgerlich schob Olivia die sentimentalen Gefühle beiseite, denn sie wollte ihre realen Möglichkeiten mit kühlem Kopf einschätzen. Sie konnte im Laufe des Monats nach Kirtinagar zurückkehren und über Nacht den geliebten und gehaßten ›Mangokern‹ loswerden, der die Ursache ihres Unglücks war. Sie konnte auch in Indien bleiben und das Kind ohne Rücksicht auf den Skandal, die spitzen Pfeile und die grausame Ächtung der Gesellschaft bekommen, die so etwas niemals verzieh. Sie konnte sich aber auch über die hartnäckigen Forderungen ihres Gewissens hinwegsetzen, am Mittwoch an Bord des australischen Schiffs gehen und sich nicht mehr um die Probleme in Kalkutta kümmern!
    Es blieben noch zwei Möglichkeiten. Sie konnte sich in den Hooghly stürzen, und damit wäre alles vorbei – keine Gedanken mehr, keine Schmerzen, keine Entscheidungen! Diese Möglichkeit erschien Olivia als die verlockendste, die einfachste und sauberste. Aber – was würde das für ihren Vater bedeuten? Sie würde ihr Leben beenden, aber würde sie nicht auch ihn damit im Lebensnerv treffen? Denn er hätte sie nicht nur verloren, sondern sie wäre aus Feigheit gestorben.
    Es blieb nur noch eine Möglichkeit. Ironischerweise stieß sie diese Möglichkeit am meisten ab. Allerdings brachte sie die wenigsten Komplikationen mit sich. Auch diese Möglichkeit bedeutete Zerstörung, aber Olivia würde nur sich zerstören. Es war ein Strohhalm – der letzte, aber der einzige in ihrer Reichweite. Er rettete sie vor dem Untergang, verurteilte sie aber zum Tod bei lebendigem Leib – andererseits, was war ihr Leben noch wert?
    Olivia lief prüfend, abwägend, nachdenkend und einschätzend in ihrem Zimmer hin und her. Sie dachte, dachte und dachte!
    Im Morgengrauen war ihr verhaßter Einfallsreichtum restlos erschöpft und jeder Gesichtspunkt erwogen. Die Entscheidung empfand sie wie einen eiskalten Wind, der ihren Geist und ihr Herz erstarren ließ. Aber ihr stand nur diese Möglichkeit offen.
    Und während sie die Entscheidung traf, empfand Olivia zum ersten Mal ein Gefühl, das sie noch vor wenigen Wochen für unmöglich gehalten hätte: Sie haßte Jai Raventhorne.

Dreizehntes Kapitel
    Freddie Birkhurst war sprachlos. Ihm fehlten buchstäblich die Worte, und Olivia glaubte, er werde gleich in Ohnmacht fallen.
    »Ich meine es ernst, Freddie«, wiederholte sie, »wenn du mich noch immer zur Frau willst, dann nehme ich deinen Heiratsantrag an.«
    Es war früh am Morgen. Der Dunst lag noch über dem Fluß. Ironischerweise saßen sie auf derselben Lichtung wie damals, als Freddie seinen Antrag gestammelt hatte. Jetzt legte er die zitternden Finger auf die Augen, als versuche er, aus einem Traum zu erwachen. Er schluckte, und sein Adamsapfel hüpfte wie ein Jo-Jo auf und ab.
    »Mein Gott …«, stieß er schließlich hervor, »ich kann es nicht glauben. Es kann doch nicht wahr sein …!«
    »Es ist wahr!« Olivias bernsteinfarbene Augen blickten leblos ins Leere. »Stehst du noch zu deinem Antrag, Freddie?«
    Er sprang heftig auf. »Natürlich stehe ich noch zu meinem Antrag! Beim Himmel, für wen hältst du mich?« fragte er verletzt und empört.
    »Dann«, sagte sie und entzog sich einer Umarmung, »bist du vielleicht auch mit einer baldigen Hochzeit einverstanden.«
    »Eine baldige Hochzeit?« Seine Ungläubigkeit wich der Begeisterung. »Wie bald? Morgen? Heute, wenn du es möchtest!« Er wußte einfach nicht, was er tun sollte.
    »Sei doch nicht albern, Freddie. Nächste Woche wäre früh genug. Ich möchte nichts Aufwendiges, eine Feier im engsten Familienkreis.« Sie sagte das mit einer eigenartigen Ruhe und Sachlichkeit, als sei sie empfindungslos, als sei sie gestorben und an einem anderen Ort ohne Gefühle wieder zum Leben erwacht.
    »Wenn du möchtest, mein Schatz, dann fliehen wir! Nur wir beide …«
    »Was wird deine Mutter zu einer so schnellen Hochzeit sagen?« unterbrach

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