Wer Liebe verspricht
vierundzwanzig Jahre auf diesen Augenblick gewartet, Olivia, vierundzwanzig Jahre ! Ich werde nicht zulassen, daß du es wie deine Mutter zurückweist! Das ist meine Aussöhnung mit Sarah, meine Sühne für ihr Leid. Willst du mir ihr Verzeihen verwehren, wenn ich es auf keine andere Weise erlangen kann?«
»Nein, Tante Bridget, aber …«
» Ich habe unseren Vater gezwungen, Sarah zu enterben, als sie mit Sean davonlief. Ich habe sie gezwungen, in Amerika zu leben, wo Armut und Entbehrungen ihre Gesundheit so zerrütteten, daß sie die Geburt ihres toten Sohnes nicht überlebte, den sie sich so sehr gewünscht hatte.« Lady Bridgets Gesicht verzog sich vor Qual, und sie sah Olivia verzweifelt an. »Ich habe sie getötet, Olivia. Verstehst du das denn nicht? So wahr ich hier stehe, muß ich dir sagen: Ich habe Sarah getötet …«
Die Seelenqual ihrer Tante erschütterte Olivia so, daß sie es nicht über sich brachte, die Geschenke abzuschlagen. Zum ersten Mal verstand sie das Ausmaß des langen Leids ihrer Tante, die offene Wunde ihrer Schuld. Lady Bridget war eine stolze, eigensinnige Frau. Es konnte ihr nicht leichtgefallen sein, das alles auszusprechen. Wortlos gab sich Olivia geschlagen. Lady Bridget trocknete ihre Tränen und fand ihre Beherrschung wieder. Dann übergab sie Olivia ein schwarzes Metallkästchen mit den dazugehörigen Schlüsseln. »Und das«, erklärte sie ruhig und gefaßt, »sollte einmal Estelle gehören. Du bekommst es ebenfalls.« Wie ein leeres Blatt Papier war ihr Gesicht plötzlich völlig ausdruckslos.
Dieses Geschenk aber konnte Olivia nicht so ohne weiteres hinnehmen. »Ich werde Estelles Anteil nicht anrühren, Tante Bridget«, sagte sie entschlossen, »es ist nicht gerecht, daß du es mir gibst. Wenn Estelle eines Tages zurückkommt …«
»Sie wird nicht zurückkommen. Estelle gibt es nicht mehr.« Lady Bridget sagte das sehr ruhig und ohne eine Spur der Erregung, die sie vor kurzem noch empfunden hatte.
Auch mich gibt es nicht mehr, wollte Olivia laut hinausschreien, aber niemand scheint es zu merken!
Irgendwie gelang es Olivia, sich zusammenzunehmen. Sie gab sich geschlagen, sie konnte nicht mehr kämpfen. Wortlos nahm sie Estelles Mitgift und schwor sich insgeheim, sie für ihre Cousine aufzubewahren. Ihre eigene Mutter hatte ihr Erbe zurückgewiesen, aber Olivia glaubte kaum, daß Estelle stolz genug war, Ähnliches zu tun.
Das Hochzeitsfrühstück, mit einer verwandelten Lady Bridget als Gastgeberin, die einen Teil ihrer früheren Lebhaftigkeit wiedergefunden hatte, war so üppig wie die Trauung schlicht. Sir Joshua bewegte sich in einem noch immer zwei Nummern zu großen förmlichen Cut leicht benommen unter seinen Gästen. Sein Zustand bot ihm einen gewissen Schutz, denn er wirkte dadurch geistesabwesend, aber doch würdevoll. Ransome wich nicht von der Seite seines Freundes, um sofort vermitteln zu können, wenn seine Erinnerung versagte oder ihm ein Fauxpas unterlief. Zu den wenigen Gästen gehörten Willie Donaldson – Freddies Geschäftsführer – und seine Frau Cornelia, die Humphries, die Pennworthys, Peter Barstow und Hugh Yarrow, der Chefbuchhalter bei Templewood und Ransome, dessen Frau zur Zeit in England war. Die Feier im kleinen Kreis hatte in der Stadt bereits viel Unwillen und Neid ausgelöst. Man hörte zum Beispiel, wie Arabella, ›die alte Jungfer‹, beleidigt verkündete:
»Da stimmt etwas nicht. Ich rieche es …«
Und dann war da natürlich Lady Birkhurst. Sie thronte in dem größten Sessel im Raum und sah sehr eindrucksvoll aus in ihrem stahlgrauen Satinkleid und den Straußenfedern. Sie verfolgte das Geschehen schweigend und mit königlicher Gelassenheit. Während der Zeremonie hatte sie diskret ein oder zwei Tränen vergossen – Lady Bridget dagegen hatte offen geweint –, aber anschließend richtete sie mit trockenen Augen und scharfem Falkenblick ihre Aufmerksamkeit ganz auf Olivia – und beobachtete, beobachtete und beobachtete. Olivia schmerzten die Lippen vom ewigen Lächeln, sie unterdrückte heldenhaft die unaufhörliche Übelkeit, und ihre Augen glänzten glasig vom erzwungenen Strahlen. Aber sie ließ die Maske keine Sekunde fallen.
Im Augenblick des Abschieds klammerte sie sich in plötzlicher Panik an ihre Tante. Auf sie wartete eine schreckliche Reise, und sie war allein, völlig allein, das Glied einer Kette von Ereignissen, die nicht rückgängig gemacht werden konnten. Heute war ihr Hochzeitstag – und ihr
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