Wer Liebe verspricht
Mann, trug immer ein makellos weißes Dhoti, ein Hemd und Sandalen an den gepflegten Füßen. Moitra erschien regelmäßig bei Farrowsham. Olivia hatte mit ihm noch nie ein Wort gewechselt, aber er verneigte sich immer tief vor ihr, wenn sie sich begegneten.
Eines Morgens machte sich Olivia auf den Weg zur Ostindien-Kompanie im Writers’ Building, um für Donaldson etwas herauszufinden, als eine schöne, reich verzierte Sänfte an ihr vorbeigetragen wurde. Durch einen Spalt im Vorhang entdeckte sie ein Gesicht und blieb wie angewurzelt stehen. Es war Sujata! Ihre Blicke trafen sich kurz. Dann richteten sich Sujatas schwarz umrandete Augen auf Olivias dicken Bauch und verweilten dort. Die glutroten Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln, und auf ihrem Gesicht lag gehässiger Triumph. Olivia konnte sich nicht von der Stelle rühren und starrte der Sänfte nach. Das gemeine und wissende Lächeln verfolgte sie den ganzen Tag.
Olivia fand durch die Arbeit bei Farrowsham die dringend benötigte geistige Anregung, aber das bereitete Freddie zunehmend Unbehagen. »Was soll ich denn allein machen, solange du weg bist?« beschwerte er sich mißmutig eines Tages beim Abendessen. »Du fehlst mir, wenn du nicht hier bist.«
»Aber ich bin doch mehr oder weniger nur weg, solange du noch schläfst, mein Lieber«, erinnerte ihn Olivia geduldig. »Außerdem möchte ich manchmal auch Onkel Josh beim Mittagessen Gesellschaft leisten, damit er nicht allein essen muß.«
»Ich muß auch allein essen!«
»Sehr selten, Freddie. Und abends bin ich immer zu Hause.«
»Trotzdem, du fehlst mir«, wiederholte er störrisch und fragte dann wehmütig: »Fehle ich dir jemals, Olivia? Sag die Wahrheit: Fehle ich dir?«
Eine halbe Stunde beteuerte sie ihm, wie sehr er ihr fehle, und versuchte den größten Teil der Nacht, es ihm zu beweisen. Olivia hatte festgestellt, daß Freddie in sexueller Hinsicht beinahe unersättlich war. Viele seiner Wünsche stießen sie ab, aber Olivia erfüllte sie mit grimmigem Gleichmut, indem sie schlicht ihre Gedanken von ihrem Körper löste. Sie lernte, so zu tun, als sei sie eine andere, empfand den Geschlechtsakt vielleicht etwa so wie eine Straßenhure und zwang sich, so zügellos und wollüstig zu sein, wie ihr Mann es verlangte.
Der wachsende Bauch machte den Verkehr noch lästiger, aber sie unterzog sich ihrer Pflicht in dem Bewußtsein, daß Freddie bei dieser Parodie einer Ehe wenig mehr bekam. Unter vielen Beteuerungen seiner Liebe erklärte Freddie immer, befriedigt zu sein, aber Olivia wußte, er gab das nur vor. Sie zweifelte nicht daran, daß seine wachsende, unbewußte Unzufriedenheit früher oder später zum Ausbruch kommen werde.
In solchen Nächten hätte Olivia nur allzu gern ihre Seele verkauft, um Freddie nur halb so lieben zu können, wie sie Jai Raventhorne einmal geliebt hatte.
*
Die erholsamen Fahrten am Flußufer entlang gehörten noch immer zu Olivias besonderen Vergnügen. Manchmal begleitete sie Freddie, und wenn er bei seinen Freunden war, fuhr sie auch allein. Kalkuttas Hafen pulsierte vor Erregung und buntem Treiben, besonders wenn ein Schiff erwartet wurde. Wenn Olivia das Hasten und Eilen der Menschen beobachtete, den betäubenden Geruch von Tang und Salz einatmete, die groß geschriebenen Bestimmungsorte auf den Frachtkisten las, fühlte sie sich irgendwie lebendig. Dann glaubte sie, wieder zu der wahren Welt zu gehören, in der irgendwo auch Amerika lag, und nicht die gestrandete und verstoßene Frau zu sein, die für alle Zeiten auf einer einsamen, wilden Insel in Trübsal dahinleben mußte.
Eines Abends bot sich ihr überraschend ein alarmierender Anblick. An einem weißen Dreimaster flatterte die vertraute safrangelbe Flagge mit dem schwarzen Symbol! Ihr meist ohnehin schwacher Magen krampfte sich plötzlich zusammen.
Ist es … könnte es die ›Ganga‹ sein?
Sie dachte unwillkürlich daran, wie sie vor acht Monaten mit Estelle und dem Opernglas hier gestanden hatte … Erst acht Monate waren vergangen. Ja, dieser Tag hatte sich klar und deutlich in ihre Erinnerung eingegraben. Aber es schien ein anderes Leben, eine völlig andere Zeit gewesen zu sein! Benommen ließ Olivia die Kutsche anhalten und stieg aus. Überall um sie herum herrschten Durcheinander und Aufregung. Plötzlich entdeckte sie in der Menge Ranja Moitra, Raventhornes Stellvertreter. Mit einem Bündel Dokumente in der Hand redete er heftig auf einen Zollbeamten ein. Aus einem
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