Wer Liebe verspricht
stehen würde. Ihr Kleid aus pfirsichfarbenem Samt mit Hermelin war vraiment die neueste Pariser Mode, wie Schnitt und Machart bewiesen. Das Oberteil – très, très gewagt – war mit kleinen japanischen Zuchtperlen übersät. Ohne Rücksicht darauf, daß es nicht zusammenpaßte, trug sie das wertvolle Diamanthalsband und die Ohrringe – Olivias Geschenk. »Du glaubst doch nicht, ich würde mir entgehen lassen, das heute abend zu tragen?« hatte sie selbstgefällig erklärt, als Olivia belustigt eine Augenbraue hob. Nein, Estelle hatte sich kaum verändert, fand Olivia. In den porzellanblauen Puppenaugen lagen immer noch die alte Schlauheit, die Berechnung und die kaum verdeckte Bosheit. Die Veränderungen waren rein äußerlich – das rundere Gesicht, die vollere Figur und ein unbekümmertes Selbstvertrauen. Während Olivia beobachtete, wie Estelle so unbeschwert lachte, flirtete und sich amüsierte, wurde sie gegen ihren Willen neidisch. Ihr war Estelles Fähigkeit zur Freude verwehrt. Sie besaß nicht die Gabe, ihre Sorgen auf die leichte Schulter zu nehmen. Was für Geheimnisse Estelle in ihrem Herzen auch verbergen mochte, es konnte ihre unersättliche Gier nach extravaganten Vergnügungen nicht beeinträchtigen. Olivia seufzte tief. Auch sie hätte die Gabe nicht verachtet, ihre Lasten so unbeschwert tragen zu können!
»Bereite keinem Herzen Pein, wenn du es vermeiden kannst, denn ein Seufzer von dir kann eine ganze Welt in Flammen setzen …«
Olivia fuhr herum, und Peter Barstow stand vor ihr.
»Ich habe mir diese Bemerkung«, erklärte er leise, »nur erlaubt, weil Sie so tief geseufzt haben. Diese kluge Äußerung stammt jedoch leider nicht von mir, sondern aus Sadis Gedicht Gulistan. Ich habe es natürlich in einer Übersetzung gelesen, aber Sie sehen, ich bin nicht ganz so ungebildet, wie Sie glauben.«
Olivia hatte Barstow nicht einladen wollen, sich schließlich dem Diktat gesellschaftlicher Regeln aber doch gebeugt. Er war schließlich Freddies bester Freund gewesen. »Ich habe geseufzt, weil ich mich gefragt habe, ob das Dessert reichen wird, um es zweimal anzubieten«, erwiderte sie kühl.
»Ach ja! Also keine Seufzer nach dem so bedauerlich vertriebenen Gemahl?«
»Viele, aber solche Seufzer sind nicht unbedingt in der Öffentlichkeit angebracht. Und er ist nicht ›vertrieben‹, sondern befindet sich auf einem Schiff. Entschuldigen Sie mich.« Barstows Spitze hatte Olivia nicht aus der Fassung gebracht. Sie mischte sich unbeeindruckt unter ihre Gäste. Seine Anspielungen unterschieden sich ohnehin nicht von den Vermutungen anderer Leute in Kalkutta. Die Gesellschaftsräume strahlten im Licht der ausladenden Kristalleuchter, und alle unterhielten sich angeregt. Olivia hörte im Stimmengewirr, daß einige Gäste so ordinär sprachen, daß sie in England nicht über die Schwelle eines aristokratischen Hauses gekommen wären. Die indischen Kolonialstädte achteten zwar auf gesellschaftliche Hierarchie, aber die Engländer befanden sich doch in der Minderheit, und sie waren klug genug, nicht allzu wählerisch zu sein. In Indien galten die Inder als Außenseiter. Überheblichkeit äußerte sich eher gegenüber der Hautfarbe als in der Klassenzugehörigkeit. Die schwierige Lage verlangte eine einheitliche und geschlossene Front, und so gesehen, war es nur angebracht, den Rang über den Stammbaum zu stellen.
Olivia hatte in den großen Marmorkaminen Feuer machen lassen. Es sah hübsch aus, und die kühle Novemberluft, das Zeichen für den Beginn des kurzen Winters in Kalkutta, ließ zumindest die Damen in den luftigen Abendkleidern frösteln. Inzwischen sorgten die Feuer und die vielen Menschen für so viel Wärme, daß Olivia alle Flügeltüren öffnen ließ. Sofort verbreitete sich in den beiden Sälen der berauschende Duft der Königin der Nacht. Olivia hatte eine Bar aufbauen lassen. Dort standen die Flaschen mit eisgekühltem Champagner, französische Weine, Whisky und Cognac in großer Auswahl, Portwein und Sherry, natürlich auch die beliebtesten Liköre für nach dem Essen. Ein englischer Barkeeper mit zwei Helfern war für den Abend aus dem Bengal Club erschienen. Die Gläser wurden immer wieder rasch nachgefüllt, um die Zungen zu lösen und die Gesellschaft in Schwung zu bringen. Ein Heer von Dienern bot Sorbets und Liköre an. Olivia gefiel es nicht, daß nach herrschender Sitte das Rauchen nach dem Essen als Vorwand dienen sollte, damit Damen und Herren getrennt hinter
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