Wer Liebe verspricht
Sessel. Verschwommen sah sie Lubbock vor sich. Er strahlte vor Vergnügen. Endlich war in der langweiligen Stadt einmal etwas los. Er redete eifrig auf sie ein, aber sie hörte kein Wort. Mrs.Sturges, Johns Mutter, legte ihr ein mit Eau-de-Cologne getränktes Taschentuch auf die Stirn. Eine vertraute Stimme sagte etwas Beruhigendes – Estelle? –, und die kräftige Hand von John fächelte ihr kühlende Luft zu. Olivia schloß erleichtert die Augen, aber sie wußte, sie würde das Bewußtsein verlieren. Bevor es eine Sekunde später geschah, schoß ihr ein absurder Gedanke durch den Kopf, über den sie am liebsten hysterisch gelacht hätte.
Jetzt hatte sie noch ein Hühnchen mit Jai Raventhorne zu rupfen. Er gab sich nicht damit zufrieden, ihr Leben zu ruinieren, er hatte ihr auch das Fest ruiniert.
Achtzehntes Kapitel
Ob ruiniert oder nicht, die außergewöhnlich ereignisreiche Burra Khana war am nächsten Tag Stadtgespräch. Beim Sonntagsfrühstück im Tolly Club, beim Kricket und in den Häusern der Europäer und Inder erregten sich die Gemüter über nichts anderes. Auch in den nächsten Tagen und Wochen sollte sich wenig daran ändern. Man stimmte allgemein darin überein, es sei das konversationsmäßig ergiebigste Ereignis in der Stadt seit fünfundvierzig gewesen, als Charlie Bagshott-Brown sich mit dem Schmuck seiner Frau, dem Bargeld seines Brotherrn und der Klavierlehrerin seiner Tochter aus dem Staub machte. Prudence Bagshott-Brown hatte sich gerächt, indem sie ihre Freunde zu einer öffentlichen Verbrennung aller zurückgebliebenen persönlichen Dinge ihres Mannes auf dem Maidan eingeladen hatte. Man bedauerte allgemein, daß sich Olivias verschwenderisches Fest für den Klatsch nicht noch ergiebiger erwiesen hatte, was der Fall gewesen wäre, wenn Sir Joshua nicht Schande über sich gebracht hätte, indem er nach der Herausforderung plötzlich klein beigab. Aber nur wenige leugneten, daß sich der Abend wirklich gelohnt hatte, ganz gleich, welche Folgen der ungeplante Spaß auch haben mochte.
Olivia verbrachte den Vormittag im Bett. Sie war nicht nur körperlich völlig erschöpft. Wieder einmal wurde sie das Opfer qualvoller Übelkeit – das sichere Zeichen ihrer Schwangerschaft. Aus alter Gewohnheit schob ihre selektive Erinnerung die unerträglichen und schrecklichen Aspekte des vergangenen Abends zunächst einmal energisch beiseite: Raventhornes diabolische Rückkehr, die lähmende Spannung, die unverzeihliche Melodramatik ihres Onkels, Estelles Falschheit und Frechheit, Raventhorne und ihren Vater einzuladen. Und Sir Joshuas seltsame Reaktion, durch die er bewußt die Verachtung der Öffentlichkeit auf sich gezogen hatte. Olivia fragte sich auch, ob sie erleichtert sei, weil Raventhorne noch lebte. Über all das wollte sie nicht nachdenken. Statt dessen machte sie Platz in ihren Gedanken und in ihrem Herzen für die überwältigende Dankbarkeit: Jai Raventhorne ahnte nicht, daß er einen Sohn hatte.
Ich bin in Sicherheit.
Sowohl er als auch ihre Cousine hatten von heute an nichts mehr in ihrem Leben zu suchen. Die Luft war bereinigt, und ihr geliebter Amos konnte aus Kirtinagar zurückkommen.
Im Augenblick zählte nur das.
Zum Tee erschien Arthur Ransome. Er war unglücklich, niedergeschlagen, völlig erschöpft und plötzlich gealtert. Er erkundigte sich nach Olivias Gesundheitszustand, und sie beruhigte ihn. Dann versank er in Schweigen, trank seinen Tee und unternahm keinen weiteren Versuch, sich mit ihr zu unterhalten. Die Ereignisse des vergangenen Abends waren schlimm genug. Es fiel ihm nicht leicht, den erbarmungslosen Spott und Hohn mitanzuhören, der offen über einen Freund ausgeschüttet wurde, mit dem er beinahe sein ganzes Leben zusammengewesen war. Aber ihn schien etwas zu bedrücken, was sehr viel tiefer ging als die öffentliche Mißachtung. Ihm lag etwas auf der Seele, das nicht nur mit der Katastrophe des Vorabends erklärt werden konnte. Olivia hatte Mitgefühl für Ransome. Aber sie fand keine Worte, um ihn zu trösten. Sie wollte ihn nicht mit Platitüden verletzen und zog es vor, sein Schweigen zu achten. Wenn man den großen Kummer bedachte, empfand sie sogar unfreiwillig Mitleid für ihren Onkel. Olivia hatte in ihrem Leben selbstzerstörerische Entscheidungen treffen müssen – vielleicht war es Sir Joshua ebenso ergangen. Möglicherweise war sein Leben infolge der Umstände ebenso tragisch in seinen Zwängen wie bei ihnen allen. Vielleicht war es sogar so
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