Wer Liebe verspricht
einmal leichtgläubig gewesen. Das war sie nicht mehr und würde es nie mehr sein. Mit welch teuflischer Anmaßung erhob er Anspruch auf jemanden, den er unwiderruflich verstoßen hatte! Und er besaß die Frechheit, von einem angeblichen Brief zu sprechen. Er war sogar stolz darauf, ihr Brief und Siegel darauf gegeben zu haben, daß er sie verstieß! Wie einfach hatte er es sich gemacht, sich hinter Schweigen versteckt, anstatt die unüberbietbare Gemeinheit – die Beziehung zu ihrer Cousine – zu erklären! Er hatte sie nie als die Seine akzeptiert, niemals, auch nicht, als noch die ›Bindung‹ zwischen ihnen bestand, von der er so großes Aufhebens gemacht hatte. Jetzt hatte er bequemerweise die Tatsachen auf den Kopf gestellt, um sie als die Übeltäterin hinzustellen. Vielleicht konnte man Estelle in ihrer bornierten Dummheit nicht einmal einen Vorwurf machen. Er allein trug die Schuld – er, er, er.
Und er hatte sie als Hure bezeichnet.
Olivia erkannte die wachsende Wut als das, was sie war – eine Schwäche, ein wunder Punkt, ein Charakterfehler. Nein, Jai Raventhorne war ihr noch nicht gleichgültig. Das bezeugten die zitternden Hände, der schwelende Zorn, der jederzeit wieder aufflammen konnte, die heftige Reaktion auf den verwünschten Anhänger – alles bewies ihr Versagen. Ärgerlich ließ sie den Anhänger in die Nachttischschublade fallen und schwor sich, ihn doch noch wegzuwerfen. Aber die Glut schwelte weiter: Jai Raventhorne hatte sie eine Hure genannt. Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sie wenigstens einmal zu fragen, warum sie Freddie geheiratet hatte!
Paradoxerweise fürchtete Olivia diese Frage von Jai Raventhorne immer noch am meisten!
*
»Haben Sie noch Wünsche hinsichtlich Mobiliar und ähnlichem?« fragte Willie Donaldson. »Das Essen auf den Schiffen ist völlig ungenießbar. Ich habe alles Nötige veranlaßt, damit Sie genug Trockenvorräte und zwei Milchziegen für das Kind haben.«
Willies Besorgnis und sein unverhohlener Kummer über ihre Abreise rührten Olivia. »Nein, Mr.Donaldson«, sagte sie freundlich und herzlich, »Sie haben bereits mehr als genug getan.«
Brummig wischte er den Dank beiseite. »Also, wir müssen noch über Geld für die Reise und danach reden …«
»Danke, ich habe genug«, sagte sie schnell und wechselte das Thema. »Was ich noch wissen möchte … Haben Sie noch einmal mit Lubbock gesprochen?«
Er wirkte noch verdrießlicher. »Ja, dieser Grobian möchte am liebsten heute schon einziehen«, murmelte er mißbilligend, »Lady Birkhurst würde bei dem Gedanken in Ohnmacht fallen, daß dieser ungehobelte Bauer in ihrem Palais tun und lassen kann, was er will.« Er schwieg eine Weile finster, dann seufzte er. »Der Kredit, den Eure Ladyschaft Ransome gegeben haben …«
»Ja? Was ist damit?«
»Sind noch mehr Kredite geplant?«
»Wenn nötig. Warum?«
Als Zeichen seiner absoluten Mißbilligung klopfte er mit dem Bleistift gegen den Vorderzahn. »Ich würde davon abraten … Besonders nach allem, was neulich abend im Palais vorgefallen ist.« Für Donaldson war das Haus der Birkhursts immer das Palais, als sei es das einzige auf der Welt.
»Ach! Tut mir leid, aber ich verstehe den Zusammenhang nicht.«
Er brummte: »Der Zusammenhang besteht darin, daß Josh vielleicht erledigt ist, aber das Firmenschild Templewood und Ransome nicht. Der Bastard wird nicht ruhen, bis er sie völlig bankrott gemacht hat. Er wird sie nach Strich und Faden ruinieren. Und ich glaube einfach, wenn Sie mir die Ansicht erlauben, wir sollten ihn nicht herausfordern, indem wir versuchen, ein sinkendes Schiff zu retten.«
» Wir nicht, Mr.Donaldson, aber ich. Und Sie kennen meine Meinung zu diesem Thema bereits. Außerdem«, sie nahm einige Akten vom Schreibtisch und stand auf, »werde ich nicht mehr da sein, wenn Mr.Raventhorne aus Assam zurückkommt. Deshalb sind seine zukünftigen Pläne, wie gut oder wie bösartig sie auch sein mögen, für mich gegenstandslos.«
Sie verließ Donaldson, der unzufrieden und mürrisch auf seine Füße starrte. Aber als sie nach Hause kam, hatte Olivia das Gespräch bereits vergessen. Amos bekam bald sein Abendessen. Wie immer fütterte ihn Olivia abends, denn er verschlang alles mit größtem Appetit. Sie stürmte so schnell die Treppe hinauf, daß Dr.Humphries sie ernsthaft getadelt hätte, und riß fröhlich die Tür zum Kinderzimmer auf. Dann blieb sie wie angewurzelt stehen.
Ihre Cousine Estelle saß mit
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