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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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tragisch wie das Leben des Mannes, den er gestern hatte töten wollen. Und diesen Mann hatte sie einmal leidenschaftlich geliebt …
    Am Vormittag überbrachte man Olivia einen Brief von John Sturges. Er bat darum, sie noch einmal – und sei es auch nur kurz – vor der Abreise nach Cawnpore sehen zu dürfen. Olivia nahm Müdigkeit und Unpäßlichkeit zum Anlaß, keine Besucher zu empfangen, und in diesem Sinn antwortete sie ihm nicht unfreundlich, denn sie hatte nichts gegen Estelles Mann, sie mochte ihn sogar. Ein zweiter Umschlag enthielt einen Brief von Estelle. Olivia ließ ihn ungeöffnet zurückgehen.
    Für sie war Estelle tot – so tot, wie Estelle auch für ihre Mutter. Olivia wollte nie wieder etwas mit ihr zu tun haben.
    *
    Und dann, am nächsten Morgen, kam Amos zurück!
    Alle Müdigkeit war vergessen, und Olivia jubelte vor Freude. Der Kleine schrie empört, als sie ihn stürmisch an sich drückte und sein Gesicht mit Küssen bedeckte. Sein Geschrei war Musik für ihre Ohren, die sie so lange hatte entbehren müssen. Sie ließ ihn nicht mehr aus den Armen, liebkoste ihn und genoß seine Anwesenheit wie ein Mensch, der dem Hungertod nahe ist und der plötzlich ein Festessen vorgesetzt bekommt. Amos war in dem einen Monat sehr gewachsen, und man sah tatsächlich den ersten Zahn. Mary Ling führte die weiße Linie in seinem Oberkiefer so stolz vor, als sei der Zahn ihre Leistung.
    Olivia saß den ganzen Tag über bei ihrem Sohn und verschlang ihn mit den Augen. Sie bewunderte nacheinander die Veränderungen – die Bäckchen waren runder und voller, die grauen Augen blickten sich wachsamer und aufmerksamer im Kinderzimmer um, die schwarzen Haare waren dichter und länger geworden, er hatte neue Laute, Gesten, Töne gelernt und gewisse Vorlieben entwickelt. Nachdem nun alle Prüfungen hinter ihnen lagen – beinahe! –, gelobte sie stumm, sich nie wieder von ihm zu trennen, nicht einen Augenblick, wenn es in ihrer Macht lag.
    Es gab aber noch viel zu tun. Mit neuer Kraft machte sich Olivia an die Vorbereitungen für die Abreise.
    Die vor dem Fest geöffneten Kisten mußten wieder verpackt und verschlossen und für Donaldson mit genauen Inhaltslisten versehen werden. Unnötige Dinge ließ sie der Kirche zu wohltätigen Zwecken überbringen, bezahlte das Dienstpersonal und verteilte Baksheesh. Olivia kaufte Geschenke für ihre Lieben in Hawaii, räumte Schränke und Schreibtische auf, bezahlte Rechnungen, erledigte alle geschäftlichen Dinge mit Donaldson und brachte den Mietvertrag für das Palais mit Lubbock zum Abschluß. Während sie arbeitete, freute sie sich über Marys lustige Lieder und Amos’ begeistertes Krähen im Kinderzimmer. Das erleichterte ihr die lästigen Pflichten, und Olivia lächelte zufrieden. Wenn ihr das Leben nur ihren Sohn und die Rückkehr zu ihrem Vater schenkte, dann hatte sie bereits genug.
    Der Strom der Danksagungen riß nicht ab. Olivia warf sie ungelesen in den Papierkorb. Sie wollte nicht an den Abend erinnert werden, der ihr nur größte Qualen gebracht hatte. Sie öffnete systematisch die Schubladen und warf ohne Reue weg, was sich in den zurückliegenden Monaten angesammelt hatte. Beim Leeren der letzten Schublade fiel etwas Metallisches auf die Schreibtischplatte. Olivia hielt die Luft an. Sie hatte völlig vergessen, daß der Anhänger hier lag. Aber sie gab sich einen Ruck und warf ihn ebenfalls in den Papierkorb. Die Vergangenheit war vergessen, sie hatte mit ihr abgeschlossen. Sie brauchte keine sentimentalen Erinnerungsstücke.
    An diesem Abend konnte sie einfach nicht einschlafen. Etwas bohrte erbarmungslos in ihrem Kopf und ließ sie nicht ruhen. Schließlich stand sie schimpfend auf und ging ärgerlich dorthin, wo das Übel lag, wie sie wußte – zum Papierkorb. Sie verwünschte ihre Schwäche und den Druck, dem sie nachgab, zog den Anhänger wieder aus den Abfällen heraus und hielt ihn einen Augenblick in der Hand. Auf der rosa Hand wirkte er stumpf und schäbig. Sie ging zum Bett zurück, setzte sich auf, seufzte tief, während ihre Gedanken wieder anfingen zu kreisen, und polierte ihn gedankenverloren mit einem Zipfel des Bettuchs.
    Durch die Heirat hast du deinem Freddie erlaubt, sich etwas zu nehmen, von dem ich dachte, es gehöre mir.
    Natürlich hatte er nicht von Amos gesprochen, sondern von ihr! Es gab einmal eine Zeit, da hätte sie das Geständnis als schmeichelhaft empfunden, aber jetzt versetzte es sie nur in noch größere Wut. Sie war

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