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Wer Liebe verspricht

Wer Liebe verspricht

Titel: Wer Liebe verspricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Ryman
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zweiter Schuß fiel nicht. Die Zeit verrann tickend, während viele Uhren den kollektiven Herzschlag zählten. Alle warteten geduldig, atmeten kaum, hielten die Augen weit geöffnet, ohne zu blinzeln. Sir Joshuas Zeigefinger lag um den Abzug, strich zärtlich darüber, zitterte einmal und dann noch einmal. In seinem Gesicht änderte sich nichts, auch die Konzentration ließ nicht nach, mit der er sein Opfer durchbohrte. Aber langsam senkte sich der rechte Arm, bis er wieder entspannt an der Seite hing. Die beiden Männer hielten den Blick noch etwas länger – der eine metallisch und feindlich, der andere undurchdringlich und abweisend. Der Colt baumelte langsam an Sir Joshuas Zeigefinger, dann fiel er mit einem leisen Plumps auf den Teppich. In dem gespannten Schweigen hätte es ein Kanonenschlag sein können. Sir Joshua hob den Revolver nicht wieder auf. Statt dessen griff er nach dem Mantel, der über einer Stuhllehne lag.
    Sir Joshua lächelte kurz, aber klar und gelassen zuerst Ransome und dann Olivia zu. Er hängte sich den Mantel ordentlich über den Arm, drehte sich um und verließ den Saal. Trotz der allgemeinen Verwirrung hinderte ihn niemand daran. Niemand sagte etwas. Die Menge teilte sich wie das Rote Meer vor Moses und sah ihn nur verständnislos an. Wie bei der Ankunft waren seine Schritte fest und energisch, und seine große Gestalt wirkte aufrecht und gebieterisch. Im Handumdrehen hatte er den großen Saal durchquert und verschwand durch die Tür.
    Die Verwirrung wurde zum Schock, der Schock zur Empörung – und dann brach die Hölle los. Alle redeten gleichzeitig erregt aufeinander ein. Was zum Teufel bildete Josh sich denn ein? Wie konnte er, ein Engländer und ein Gentleman, es wagen, die Nerven zu verlieren! Er war doch der Herausforderer gewesen! Das war unerhört! Noch schlimmer, es war geschmacklos, schockierend! Der Mann war eine Schande für die ganze Gesellschaft – von seinem Club ganz zu schweigen! Nachdem die Allgemeinheit unter schriller Beteiligung der alten Jungfer zu diesem Konsens gekommen war, entschied sich Arabelle, endlich in Ohnmacht zu fallen. Im Sturm der großen Enttäuschung und der unerfüllten Erwartungen beschlossen alle plötzlich, es sei Zeit, nach Hause zu gehen.
    Nur Barnabus Slocum seufzte insgeheim erleichtert auf und trocknete sich den Schweiß auf der Stirn. Hätte der verdammte Josh den Bastard wirklich umgebracht (wie er gehofft hatte), dann hätte er sich als Vertreter des Gesetzes in einer schwierigen Lage befunden. Es wäre eindeutig Mord gewesen. Er hätte Josh verhaften lassen und öffentlich anklagen müssen – welch eine schreckliche Vorstellung! Natürlich wäre der Fall später irgendwie als Notwehr ausgelegt worden. Aber mit so vielen Zeugen wäre das nicht ganz einfach gewesen, wirklich nicht ganz einfach, um nicht mehr zu sagen! Er hätte Josh mindestens zu drei Jahren Gefängnis verurteilen müssen. Die einheimische Bevölkerung wäre natürlich außer sich vor Empörung gewesen, und es hätte heftige und peinliche Dispute mit London gegeben. Schön und gut, aber der Mann hatte nicht nur die erste Runde verspielt, sondern war auch noch weich geworden. Verflucht noch mal, er konnte das nicht verstehen. Aber es war, Gott sei Dank, nicht seine Angelegenheit, dieser Sache nachzugehen. Und dieser verdammte Unruhestifter Raventhorne …
    Slocum blickte sich ebenso verblüfft wie alle anderen suchend nach ihm um. Aber von dem Mann, der um Haaresbreite das Leben verloren hätte, war keine Spur mehr zu sehen. Im allgemeinen Durcheinander war er gegangen. Zurück blieben noch mehr unbeantwortete Fragen. Widerwillig kam man zu einer allgemeinen Meinung: Es war natürlich schrecklich schade, daß Josh unverständlicherweise nicht getroffen hatte. Aber niemand konnte leugnen, daß Kala Kanta außerordentlichen Mut bewiesen hatte. Nicht jeder Mann – nicht einmal ein reinrassiger Engländer! – hätte so gelassen mit dem Tod spielen können – noch dazu unbewaffnet und mit einem Meisterschützen als Gegner. Das Eingeständnis schmerzte natürlich, aber englische Fairneß gebot, daß man selbst dem Teufel, wenn er es verdient, Gerechtigkeit widerfahren lassen muß.
    Olivias Beine gaben unter ihr nach. Sie glaubte, im Gedränge zu ersticken. Alle redeten auf einmal, bedankten sich höflich bei ihr und wünschten eine gute Nacht. Jemand, vielleicht Willie Donaldson oder der Arzt – sie wußte nicht wer –, stützte ihren Arm und half ihr in einen

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