Wer Liebe verspricht
Mit einer Handbewegung tat er das kleine häusliche Problem ab, dem seiner Meinung nach keine große Bedeutung zukam. Er kniff vergnügt die Augen zusammen, und seine Lippen verzogen sich spöttisch vor unterdrückter Heiterkeit. »Nun sag mir mal ehrlich«, er sah sie ernst an, »was hältst du von diesem jungen Birkhurst? Gefällt er dir irgendwie?«
»Nein.« Olivia erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
»O je. Bridget wird enttäuscht sein, wenn sie das hört! Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, euch zwei zusammenzubringen. Du kennst ja vermutlich ihren Ehrgeiz.«
»Ich müßte dumm geboren sein und nichts dazugelernt haben, um ihn nicht zu kennen«, erwiderte Olivia trocken. »Und alle anderen in der Stadt ebenfalls.« Auch der berüchtigte Mr.Raventhorne, fügte sie in Gedanken hinzu.
Sir Joshua lachte. »Ich will gerne gestehen, daß ich mich nicht zum Anwalt eines Mannes mache, der seinen Whisky nicht bei sich behalten kann. Es gibt kein besseres Kriterium für einen Gentleman als das.«
»Das freut mich! Ich habe allmählich geglaubt, alle seien an dieser Verschwörung beteiligt!«
»Andererseits«, er hob warnend den Zeigefinger, »wollen wir nicht vergessen, daß die Agentur des alten Caleb Birkhurst praktisch ihr eigenes Geld prägt. Caleb zieht es vor, als Nabob in England zu leben, aber trotzdem sammelt er hier beträchtliche Reichtümer an. Allein die Indigoplantage in Nordbengalen ist ein Vermögen wert, von dem Palais an der Esplanade gar nicht zu reden. Beeindruckt dich das alles nicht?«
»Nein.« Offenheit jetzt war besser als spätere Unannehmlichkeiten.
»Ich habe nichts gegen Mr.Birkhurst. Aber in meinen Augen wird er durch seinen Reichtum und seine adlige Herkunft nicht besser oder schlechter.« Sie lächelte verschmitzt. »Wie ich höre, halten ihn auch andere für den größten Trottel von Kalkutta.«
Sir Joshua warf den Kopf zurück und lachte schallend. »Mein Gott, ihr Amerikaner nehmt wirklich kein Blatt vor den Mund. Weißt du, was ich gerne tun würde, wenn ich nicht fürchten müßte, daß Bridget wieder in Ohnmacht fällt? Ich würde dich zu gern in die Handelskammer mitnehmen, damit du es diesen Hohlköpfen einmal richtig zeigst!« Er brach wieder in dröhnendes Gelächter aus und trocknete sich die Augen mit einem Taschentuch. »Aber ich muß dir zustimmen, Birkhurst ist wirklich ein Schwachkopf, ganz anders als sein Vater und übrigens auch seine Mutter. Ich verstehe nicht, was um alles in der Welt Bridget an ihm findet.« Hinter vorgehaltener Hand unterdrückte er ein Gähnen und stand auf.
Olivia seufzte erleichtert auf. Selbst ein schwacher Verbündeter in diesem Kampf war besser als keiner! »Vielen Dank für die moralische Unterstützung, Onkel Josh. Ich weiß es sehr zu schätzen. Es tut mir leid, wenn ich dich mit meinem Gerede daran gehindert habe, zu Bett zu gehen. Du siehst müde aus.«
»Nein, nein, überhaupt nicht, mein Kleines. Ich genieße unsere Unterhaltungen.« Trotzdem unterdrückte er wieder ein Gähnen, als er sich mit unübersehbarer Müdigkeit reckte. »Du bist ein gutes Mädchen, Olivia, viel zu gut für Trinker wie diesen Birkhurst. Aber erzähle um Himmels willen Bridget nicht, was ich gesagt habe. Sie reißt mir sonst den Kopf ab.« Er kniff sie liebevoll in die Wange.
»Alles in allem hat Sean mit deiner Erziehung gute Arbeit geleistet. Es kann nicht leicht gewesen sein. Über diese andere Angelegenheit …«, er starrte mit gerunzelter Stirn auf den Teppich, »sollten wir nicht mehr sprechen. Raventhorne wird deinen Weg nicht mehr kreuzen.«
Olivia stand an diesem Abend noch lange, nachdem alle im Haus zu Bett gegangen waren, am Fenster. Sie lauschte auf das Rufen der Eulen und das regelmäßige »Khabardar, khabardar!« des Nachtwächters, der damit mögliche Eindringlinge verscheuchte, während er das Gelände abging. Schließlich setzte sie sich an ihren Schreibtisch, beendete den Brief an ihren Vater und machte einen Eintrag in ihr Tagebuch. Beide Male schrieb sie mutig: Ich habe gestern abend einen Mann getroffen. Sie überlegte eine Weile und fügte dann entschlossen hinzu: Ich glaube, ich würde ihn gern wiedersehen.
*
Estelle Templewood war nach fünfzehnjähriger Ehe ihrer Eltern geboren worden, als sie bereits alle Hoffnungen auf Kinder aufgegeben hatten. Sie wurde nach ihrer verstorbenen Großmutter, der verwitweten Lady Stella Templewood, benannt und hatte von ihr mehr als nur den Namen. Sir Joshuas Mutter,
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