Wer Liebe verspricht
eine Frau mit einem eisernen Willen und ungeheurem Ehrgeiz, war kurz nach dem Tod ihres Mannes mit ihrem jungen Sohn nach Kalkutta gekommen, um ihm dort eine Stellung bei der Ostindien-Kompanie zu beschaffen, in der er Geld verdiente, während er lernte. Umsichtig verschmähte sie adlige, allerdings verarmte Heiratskandidatinnen und plante für ihn die Verbindung mit der jüngeren Tochter eines reichen Mühlenbesitzers aus Norfolk, damit der junge Josh sich mit der beträchtlichen Mitgift selbständig machen konnte. Der Erfolg des Unternehmens war zweifellos ihm zuzuschreiben, doch der kluge Schachzug der Mutter brachte Templewood und Ransome in eine gute Ausgangsposition. Die Witwe herrschte bis zu ihrem Tod kurz vor Estelles Geburt mit diktatorischer Strenge über den Haushalt ihres Sohnes. Und wenn es ihr auch nicht gelang, ihren Sohn weiterhin zu beherrschen, lag es mit Sicherheit nicht an mangelnden Versuchen. Sie erklärte sofort nach der Hochzeit, es könne nicht zwei Lady Templewoods unter einem Dach geben, und da sie es nicht schätzte, als Witwe angesprochen zu werden, wurde ihre Schwiegertochter schlicht Lady Bridget. Und der Name blieb an ihr hängen. Lady Bridget lernte viel von ihrer Schwiegermutter, die sie fürchtete und achtete. Aber der Tod dieser Dame kam für Lady Bridget schließlich als eine Erlösung. Vielleicht war das Porträt der alten Baronin deshalb seit dieser Zeit in die dunkelste Ecke des Speisezimmers verbannt. Doch auch von dort überwachten die unbewegten, blassen, funkelnden Augen den Haushalt weiterhin mit säuerlicher Mißbilligung.
Dieses Funkeln war nun auch beständig in Estelles Augen, während der Haushalt aufgeregt die Vorbereitungen für ihren Debütantinnenball traf. »Mama besteht auf neuseeländischem Lammrücken«, klagte sie Olivia wütend. Sie war wieder einmal den Tränen nahe und stampfte mit dem Fuß auf. » Jeder hat neuseeländischen Lammrücken und es ist so … so gewöhnlich! «
»Aber es gibt doch nicht nur den Lammrücken.« Olivia seufzte. Sie war nun Tag für Tag als Vermittlerin bei den ständigen heftigen Auseinandersetzungen gefordert, und das zerrte auch an ihren Nerven.
»Was ist mit der Aberdeen-Lende, der Hühnerbrust, den Wachteln, den norwegischen Anchovis, den Kiebitzeiern, dem Bhekti -Fisch und den zahllosen anderen Gerichten? Warum läßt du deiner Mutter bei dem Lammrücken nicht ihren Willen?«
»Sie hat in allem ihren Willen.« Das stimmt nicht, dachte Olivia, aber Estelle ließ sich nicht unterbrechen. »Sogar bei den Blumen. Weshalb kann ich keine Chrysanthemen anstelle der albernen Rosen haben? Und weshalb muß Jane Watkins die Vasen richten?«
»Erstens«, erklärte Olivia mit bewundernswerter Geduld, »weil es in dieser Jahreszeit noch keine Chrysanthemen gibt. Und Tante Bridget möchte nur, daß die Blumen schön arrangiert sind, und das wird Jane gelingen, da sie es gelernt hat.«
»Das liegt nur daran, daß Jane in England zur Schule gegangen ist und ich nicht. Hätten sie mich ins Internat gehen lassen wie alle anderen Eltern ihre Töchter, hätte ich es auch gelernt, oder? Charlotte sagt, in Tonbridge …«
»Schon gut, schon gut«, unterbrach Olivia sie gereizt, als die Anklagen ihrer Cousine gegen die Welt im allgemeinen und ihre Mutter im besonderen wieder einmal unter einem verwirrenden Mangel an Logik – und übrigens auch Wahrheit – ineinander übergingen. »Ich will sehen, was ich tun kann, aber niemand kann im September Chrysanthemen zaubern, und damit Schluß.«
Alles in allem war es für Olivia eine überaus anstrengende Zeit. Natürlich half sie bereitwillig, die Belastungen zu verringern, die ein Ereignis mit sich brachte, unter dem sie sich nichts vorstellen konnte. Aber bei dem verwirrenden Durcheinander von Schneidern, Schmuckhändlern, Schuhmachern, Stickerinnen, Zimmerleuten, Polsterern, Malern und zahllosen anderen war ihr abends ganz schwindlig, und die Füße schmerzten vor Müdigkeit. Die Bewirtung mehrerer hundert Gäste war dem Spence’s Hotel übertragen worden, das im Ruf stand, die beste Küche der Stadt zu haben. Das lang ersehnte Schiff mit seiner großen Ladung Wein, Spirituosen, Bier, Süßigkeiten, Käse und Tabak war rechtzeitig eingetroffen. Es hatte auch Estelles wundervolles Ballkleid mitgebracht – aus blaßblauem Organdy mit üppigen Rüschen aus Brüsseler Spitze und einem Besatz aus kleinen Perlen und Diamantsplittern. Olivia hatte in ihrem Leben noch nie ein so schönes
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