Wer Liebe verspricht
den wahren Grund nicht kannte, schrieb er es nicht ohne Stolz den Arzneien zu, die er verordnet hatte. Natürlich nahm ihm niemand diesen Glauben.
Trotzdem waren Olivias Wangen noch immer blaß und eingefallen. Und um den Mund hatten sich neue tiefe Falten der Bitterkeit eingegraben. Sie war so abgemagert, daß ihr Körper beinahe wie ein Skelett aussah. Nur die vor Milch prallen Brüste waren ein Zeichen ihrer alten Konstitution. Die Milch wurde jeden Tag mit einer Gummivorrichtung abgepumpt und dem Baby gebracht, von dem sie nicht wußte, wo es sich befand, und das zu sehen und kennenzulernen ihr nie bestimmt sein würde. Olivia stellte keine Fragen nach Alistair. Sie schien mit der täglichen Beteuerung zufrieden, daß es dem Baby gutgehe und es sich bestens entwickle. Nach außen hatte sie keine Freude über die Rückkehr des geliebten Amos erkennen lassen. Sie war noch immer so sehr aller Gefühle beraubt, daß sie den freudigen Schock, das unerwartete Wunder, nicht ganz begreifen konnte. Wenn sie sich freute, dann innerlich. Ihre Augen blieben unergründlich und ihre Gedanken wie hinter Eisentoren verschlossen. Niemand ahnte oder konnte erraten, was sie dachte. Und keiner wagte zu fragen. In der selbstgeschaffenen Festung ihrer Einsamkeit behielt sie ihre Gedanken für sich.
Den verschlossenen braunen Umschlag, den man mit Amos überbracht hatte, ließ sie in eine Schublade ihrer Schlafzimmerkommode legen. Sie zeigte kein Interesse daran, den Inhalt kennenzulernen.
Nach Alistairs Geburt durften weder Olivia noch ihr Kind einen Monat lang Besucher empfangen. Dr.Humphries tat das Seine und verordnete energisch ein völliges Besucherverbot in welch guten Absichten auch immer. Als sich Olivias Zustand besserte und bekannt wurde, daß sie das Bett verlassen durfte, sorgte Kinjal dafür, daß neugierige Besucher sich auch weiterhin fernhalten mußten. Jedermann in Kalkutta wußte natürlich, daß für eine Maharani ein strenges Protokoll galt, und daß sie ihr Purdah nie brach. Kinjal wohnte im Birkhurst-Palais, und deshalb war es ohne eine offizielle Einladung unmöglich, dort zu erscheinen. Und da bis auf ein paar Wenige niemand eingeladen wurde, konnten Überraschungsbesucher nicht damit rechnen, vorgelassen zu werden. Die Engländer hatten sich unwillig schon lange damit abgefunden, daß Lady Birkhurst ihre Gesellschaft mied. »Ganz wie sie will«, erklärte die alte Jungfer bissig beim regelmäßigen Dienstagmorgen- Mahjongg -Treffen der Institutsdamen. »Sie war im Grund nie eine von uns !«
Arvind Singh gehörte zu Olivias ersten Besuchern bald nach der Rückkehr von Amos. Sie wußte inzwischen von all seinen Bemühungen und dankte ihm tief bewegt. »Ich stehe mein Leben lang in Ihrer Schuld. Ich werde Ihre Fürsorge nie vergessen.«
Der Maharadscha war entsetzt von ihrem elenden Aussehen und tat ihren Dank mit einer Handbewegung ab. Dann nahm er all seinen Mut zusammen. »Ich habe nur meine Pflicht als Ihr Freund erfüllt. Jai hat echte Anteilnahme bewiesen. Er hat das Kind aus freien Stücken zurückgeschickt, und er hat Ihrem Handelshaus volle Wiedergutmachung geleistet. Können Sie sich nicht dazu überwinden, ihm wenigstens teilweise zu vergeben?«
Olivias Gesicht verschloß sich. Sie beantwortete seine Frage nicht, und er stellte sie nicht noch einmal. Im schmerzlichen Wissen um die besonderen Umstände erkundigte er sich auch nicht nach Alistair.
Aber andere taten das in der besten Absicht. Zu den wenigen Auserwählten, die eine Einladung erhielten, gehörten natürlich auch Willie und Cornelia Donaldson. Ohne etwas von den Zusammenhängen zu ahnen, freuten sie sich rührend über Alistairs Geburt. Olivia wußte, wie ehrlich sie es meinten, und sagte ihnen das, was ohnehin bald jeder wissen würde. »Mein Mann möchte seinen Sohn sehen. Und das ist auch der Wunsch seiner Mutter, die jeden Tag älter und hinfälliger wird. Da ich zuerst nach Hawaii fahren möchte, habe ich veranlaßt, daß Alistair sofort nach England gebracht wird.«
Die halbherzige Lüge war im Grunde nicht nötig. Auch die Donaldsons glaubten sie ihr nicht mehr. Mit einem Gefühl der Trauer begriffen sie, daß die Ehe der Birkhursts nicht mehr zu retten war.
Nach den Glückwünschen erschien es Donaldson angebracht, endlich auch ein anderes Thema zur Sprache zu bringen. Trotz seiner brennenden Neugier wußte er, Lady Birkhurst würde ihm keine befriedigende Antwort geben. »Wir haben einen neuen Frachtvertrag mit Trident«,
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