Wer Liebe verspricht
unterwegs zu sein. Eine weiße Frau ist für die Eingeborenen ein Gegenstand der Neugier. Sie starren uns an, machen ungehörige Bemerkungen und kommen auf Ideen, die weit über die ihnen zustehende Stellung hinausgehen.« Lady Bridget blieb betont geduldig und fragte sich dabei, wie oft sie dieses eigensinnige Mädchen wohl noch warnen mußte.
Olivia richtete sich mühsam auf und stützte sich auf den Ellbogen. »Die Eingeborenen haben weit weniger gestarrt, als ich es getan hätte, wenn plötzlich einer von ihnen mitten in Sacramento aufgetaucht wäre! Die Leute im Dorf waren sogar sehr freundlich. Ich habe dem Schlangenbeschwörer mit seinen Kobras zugesehen, und sie haben mir einen Hocker gebracht, damit ich sitzen konnte. Außerdem haben sie mir süßen Tee in einem Tonbecher zu trinken gegeben.« Sie erwiderte den Blick ihrer Tante, ohne mit der Wimper zu zucken. »Er hat köstlich geschmeckt.«
Lady Bridget zuckte zusammen. Tee in Tonbechern bei dreckigen Bauern? Du lieber Himmel, was würde sich das Mädchen noch alles einfallen lassen. Sie konnte ihren Zorn nur mühsam unterdrücken. Was hatte Sean aus Sarahs liebenswertem Kind gemacht! Mit der richtigen Erziehung in England hätte Olivia die Welt zu Füßen liegen können. Ihr Zorn schwand, und Mitleid überkam sie. Sie stand auf, ging zu ihrer Nichte hinüber, setzte sich neben sie auf die Chaiselongue und nahm beide Hände in ihre.
»Unser Leben hier muß dir seltsam vorkommen, Liebes. Das verstehe ich, besonders angesichts deiner eigenen unkonventionellen Erziehung. Aber in den Kolonien müssen wir zurückhaltend sein und uns von der Menge etwas absondern. Eine überlegene Kultur kann nur in der Exklusivität überleben. Du verstehst doch, was ich damit meine, nicht wahr?«
Es war eine Variation des Themas, das Olivia seit ihrer Ankunft von morgens bis abends zu hören bekam. Wie immer blieb sie unbeeindruckt. »Nach dem Wenigen, was ich gelesen habe, kommt es mir vor, als sei Überlegenheit ein relativer Begriff. Sie …«
»Was in der Theorie stimmt, entspricht nicht immer der Wirklichkeit, Olivia.«
»Vielleicht. Aber Papa sagt, eine alte Kultur wie diese …«
»Dein Vater ist ein Idealist.« Lady Bridget preßte die Lippen zusammen, als habe sie ein Wort benutzt, das man vor Kindern nicht aussprechen durfte. »Und er war nie in Indien. Ganz gleich wie alt, das hier ist ein heidnisches Land. Indiens Kultur riecht nach Aberglauben, primitiven Glaubensvorstellungen, ein Greuel für alle wahren …« Sie brach ab. Wieder einmal ließ sie sich auf einen Disput ein, den sie als nutzlos und längst geklärt erachtete. Olivia hatte die ärgerliche Angewohnheit, logisches Denken als Waffe zu benutzen, und das schätzte Lady Bridget bei Frauen nicht. Es gab ein Richtig und ein Falsch. Daran konnte keine Wortspielerei etwas ändern. Sie stand auf, um das Ende des Gesprächs anzudeuten. »Jedenfalls, um noch einmal auf deinen Unfall zurückzukommen, – ich wäre dir dankbar, wenn du nicht wieder allein ausreiten würdest. Der Sohn des Stallburschen ist zwar ein respektloser Flegel, aber er kann mit einem Pferd Schritt halten und mit einer Nachricht zurückkommen, falls du mit den Eingeborenen Schwierigkeiten hast.«
Estelle kicherte. »Wenn Olivia Schwierigkeiten mit den Einheimischen hat, dann können die Eingeborenen sich auf etwas gefaßt machen. Sie zieht ihren Colt und schießt sie mausetot, nicht wahr, Oli?«
»Wie bitte?!« Lady Bridget rang nach Luft und suchte Halt am Türrahmen. Olivia stöhnte innerlich. Diese alberne Estelle war wirklich unmöglich. »Wenn deine Cousine eine Waffe trägt, Estelle, dann liegt es vielleicht daran, daß sie noch nicht begriffen hat, daß es in Indien nicht ganz wie im Wilden Westen zugeht – und, dank England, wahrscheinlich auch nie so zugehen wird. Aber im Augenblick wäre es mir lieber, du würdest dich nicht in Sachen einmischen, die dich nichts angehen.« Lady Bridget rauschte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Olivia starrte ihre Cousine an. »Wenn du doch nur aufhören würdest, dich ständig für mich einzusetzen, Estelle! Mit diesem unnötigen Eifer machst du mir nur noch mehr Schwierigkeiten – und dir ebenfalls. Jetzt weiß sie, daß ich einen Colt habe, und sie ist wütend.«
»Unsinn! Mama kommandiert dich genauso herum wie mich. Und ich finde einfach, wir sollten uns das nicht länger gefallen lassen!« Ihre blauen Augen, die so sehr denen ihrer Mutter glichen,
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