Wer Liebe verspricht
der seit längerem sein Unwesen trieb, war erst am Vortag wieder gesichtet worden, und man hatte sich in aller Eile für die Jagd entschieden. Man bat, die allzu kurzfristige Einladung zu verstehen und zu vergeben und Ihren Hoheiten die Freude zu machen, Ihre bescheidene Gastfreundschaft anzunehmen. Man betonte, Sir Joshuas bekannte Treffsicherheit werde sich auf der Jagd als unschätzbarer Vorteil erweisen.
Jeder reagierte wie erwartet: Sir Joshua fühlte sich ungeheuer geschmeichelt. Estelle blieb gleichgültig, Olivia zeigte unverhüllt ihre Begeisterung, und Lady Bridget war wütend. »Wenn du mir doch nur einmal zuhören würdest, Josh!« fauchte sie ihn an. »Seit Tagen rede ich von Lady Birkhursts Einladung zum Mittagessen am Sonntag. Ich denke nicht im Traum daran, wegen dieser rücksichtslosen Vorladung in letzter Minute den Birkhursts abzusagen!«
»Verdammt!« Sir Joshua griff sich ans Kinn, während er überlegte.
»Am Samstagabend treffen wir uns mit den Versicherungsagenten. Da muß ich unbedingt anwesend sein.« Er klopfte auf den Brief.
»Der alte Knabe hat etwas vor, ich rieche es. Mein Gott, ich würde zu gern wissen, was …!«
Sir Joshuas Fluchen machte Lady Bridget noch wütender. »Wenn du springst, sobald er mit dem Finger schnippt, bitte, meinetwegen. Sag deine Verabredung ab und nimm Estelle mit. Olivia und ich, wir werden unsere Verabredung ganz bestimmt einhalten.«
»Du hörst mir auch nie zu, Mama!« Estelle stürzte sich erregt ebenfalls in den Kampf. »Ich bin den ganzen Sonntag bei Charlotte. Wir üben Weihnachtslieder ein, die ihr Bruder aus England mitgebracht hat. Aber selbst wenn ich nicht schon zugesagt hätte, würde ich lieber allein zu Hause bleiben, als auf eine alberne Jagd gehen. Beim letzten Mal haben mich die Mücken halbtot gebissen.«
Niemand beachtete sie.
»Da steckt ein Motiv dahinter«, überlegte Sir Joshua laut. Er war immer noch ganz in seine Gedanken versunken. »Das sind gerissene Burschen, diese Fürsten, und sie sind furchtbar empfindlich. Ich kann nicht einfach absagen. Das würde er mir übelnehmen und sofort glauben, ich wollte ihn beleidigen, obwohl ich das ganz bestimmt nicht vorhabe.«
»Dann hätte er uns früher benachrichtigen sollen!« rief Lady Bridget.
Sir Joshua schien sie nicht zu hören. Plötzlich schnalzte er mit dem Finger. Er hatte eine Lösung gefunden. Er wandte sich an Olivia, die still dabeisaß und vor Spannung kaum zu atmen wagte. »Arvind Singh liegt unser schriftliches Angebot vor. Ich würde viel darum geben zu erfahren, wie er es aufgenommen hat. Liebes, du scheinst ihm sehr gefallen zu haben – hättest du Lust, zu dieser Jagd zu gehen? Ein Mitglied der Familie genügt – es sei denn, Estelle überlegt es sich anders.«
Estelle verdrehte nur die Augen und verschwand kopfschüttelnd aus dem Zimmer. Aber Olivia bekam vor Freude Herzklopfen. »O ja, ich hätte schon Lust …« Sie sah das wütende Gesicht ihrer Tante und fügte schnell hinzu, »das heißt, wenn Tante Bridget nichts dagegen hat.«
»Deine Tante hat etwas dagegen, und zwar sehr viel! Josh, ich finde es gemein, absolut gemein von dir …«
»Ich kann nicht riskieren, Arvind Singh zu verärgern. Kannst du das nicht verstehen?« Er wischte mit einer Handbewegung alles andere beiseite und stand auf. »Man weiß, daß die Eingeborenen sich nur allzu leicht, allzu leicht gekränkt fühlen.« Er ging zur Tür.
»Und wenn Lady Birkhurst sich auch allzu leicht gekränkt fühlt?« fragte Lady Bridget und stemmte die Hand in die Hüfte.
»Sag ihr, Olivia hat Fieber oder irgend etwas. Ihr Frauen seid gut darin, Ausreden zu erfinden. Ich kann den Mann nicht länger warten lassen …« Er murmelte etwas vor sich hin und verschwand in Richtung Arbeitszimmer.
»Also wirklich!« Die Empörung machte Lady Bridget sprachlos.
»Also …!« Sie rauschte aus dem Zimmer und suchte Estelle, um ihren Zorn an ihrer Tochter auszulassen. Wie konnte Estelle es wagen, ohne Erlaubnis ihrer Mutter eine Einladung anzunehmen!
Olivia blieb unbeachtet sitzen. Sie bemühte sich, nicht zu zeigen, daß sie innerlich über den völlig unerwarteten Strafaufschub jubilierte, die der Brief des Maharadscha verhieß. Aber unter dem Glücksgefühl lag Verwirrung. Sie spürte wie Sir Joshua, daß hinter der Einladung ein Motiv steckte. Im Gegensatz zu ihm hatte Olivia jedoch das sichere, beunruhigende Gefühl, daß die Kohle dabei keine Rolle spielte …
Viertes Kapitel
Die Fahrt durch
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